Beim Rückblick auf 2019 kommt das Gefühl auf, es sei in rechtlicher Hinsicht nicht viel geschehen. Einer Phase der Stagnation im BMJV folgt seit der Amtsübernahme durch Frau Bundesministerin Christine Lambrecht das beherzte Anpacken einer Vielzahl von Vorhaben. Diskutiert werden neben vielen Änderungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz zur Bekämpfung der Hasskriminalität, in der StPO, im Inkassorecht und mit Blick auf die europäische Dimension der Digitalisierung unter dem Stichwort "E-evidence Verordnung" Fragestellungen bei grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahmen. Viele dieser Vorhaben folgen einem berechtigten Ziel. Gleichwohl ist es notwendig, diese auch kritisch zu begleiten, um garantierte Grundsätze der Gewaltenteilung, die Wahrung grundrechtlicher und datenschutzrechtlicher Belange, insb. bei der Abgrenzung zwischen Freiheitsrechten des Einzelnen und einem staatlichen Sicherheitsbedürfnis, immer wieder in den Blick zu nehmen.
Aus der Vielzahl von Gesetzesvorhaben ist die Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) von großer Bedeutung. Hierzu liegt das Eckpunktepapier vor. Die Fristen zur Stellungnahme dazu sind abgelaufen. Die Arbeiten schreiten voran. Die Reform der BRAO zielt auf eine zeitgemäße Gestaltung des Berufsrechts. Sie sieht vor, dass der Anwaltschaft zukünftig alle im In- und europäischen Ausland vorhandenen Gesellschaftsformen offenstehen sollen. Die Berufsausübung soll zukünftig mit Berufsträgern anderer Berufe zulässig sein, die der Rechtsanwalt selbst als Zweitberuf ausüben könnte. Die Einhaltung der "core values" der Anwaltschaft, insb. des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen, der Verschwiegenheitspflicht und der Unabhängigkeit, ist in derartigen Formen der Zusammenarbeit durch vertragliche Regelungen sicherzustellen und in der Praxis zu beachten. Der Versicherungsschutz soll dem Mandat folgen – da dieses der Berufsausübungsgesellschaft erteilt wird, soll die Berufsausübungsgemeinschaft auch Subjekt des Versicherungsschutzes werden. Und schließlich ist auch an ein elektronisches Kanzleipostfach gedacht. Vom Eckpunktepapier bis zur Verkündung im Bundesgesetzblatt ist noch ein Weg zurückzulegen. Der Wille zu einer raschen Umsetzung ist aber erkennbar.
Demgegenüber hinterlässt der Blick auf die seit langem notwendige und noch immer nicht in Kraft getretene RVG-Anpassung im günstigsten Fall nur Unmut. Hier werden die Verbände nicht müde werden, die zeitnahe, dringend notwendige Umsetzung weiter beharrlich zu fordern. Eine gesetzliche Gebührenordnung, die sich nicht von ihrer Funktion entfernt, kann nicht von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden. Sie stellt aus der Sicht des BVerfG ein Leitbild für eine in ihrer Gesamtheit auskömmliche Vergütungsregelung dar. Da das RVG die Lohnentwicklung jeweils nur nachholt und nicht vorwegnimmt, hinken die Sätze inzwischen wieder rd. 6,5 Jahre hinterher. Ein Ausweichen in Vergütungsvereinbarungen benachteiligt Teile der Anwaltschaft, da nach den vorliegenden empirischen Untersuchungen die Möglichkeit zum Abschluss von Vergütungsvereinbarungen faktisch davon abhängt, in welchem Rechtsgebiet, für welche Klientel und in welcher Region eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet wird. Zudem sind erhebliche Unterschiede beim Abschluss von Vergütungsvereinbarungen zwischen Männern und Frauen zu beobachten – und zwar auf beiden Seiten einer Vergütungsvereinbarug. Das Gefälle zwischen Stadt und Land, Mandaten für Unternehmer oder Verbraucher, Ost und West sowie zwischen Männern und Frauen nimmt auf diese Weise zu.
Und schließlich schreitet die Digitalisierung voran. Schleswig-Holstein hat über die Opt-in-Klausel die zwingende Einreichung von bestimmenden Schriftsätzen für alle Arbeitsgerichte sowie das Landesarbeitsgericht in Schleswig-Holstein vorgeschrieben. Damit mahnt es letztlich alle Anwältinnen und Anwälte, sich nicht nur mit der seit langem bestehenden passiven Nutzungspflicht des beA zu befassen, sondern auch die aktive Nutzung in den Blick zu nehmen und sich vor der Einreichung eines Schriftsatzes zu vergewissern, ob nur noch die elektronische Einreichung zulässig ist. Zudem ist die obligatorische Nutzungspflicht bei allen Gerichten in allen Bundesländern zum 1.1.2022 nicht mehr weit. Justiz und Anwaltschaft sollten hierbei im Gespräch bleiben und die Aufgabe miteinander bewältigen. Sie ist sowohl für die Anwaltschaft als auch für die Justiz eine große Herausforderung, die es anzunehmen gilt. Die Notarinnen und Notare leben vor, dass die Digitalisierung mit großen Schritten vorangehen kann.
Mit Blockchain, smartcontract und weiteren Begriffen stellen wir fest, dass die Digitalisierung nicht nur den elektronischen Rechtsverkehr und die Frage betrifft, auf welchen Wegen wir zukünftig mit den Gerichten kommunizieren und diese mit uns.
Gespannt sein dürfen wir auch auf die Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz (KI). Die EU will hierzu in den ersten 100 Tagen unter der neuen Kommissionspräsidentin erste Überlegungen vorlegen. Überlegun...