Aktive Nutzungspflicht des besonderem elektronischen Anwaltspostfachs (beA) ab 1.1.2022


Aktive Nutzungspflicht des beA ab 1.1.2022

Am 1.1.2022 ist mit dem Eintritt der aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) der wichtigste Meilenstein in der Digitalisierung der Justizkommunikation erreicht: Rechtsanwält:innen und Behörden dürfen nicht mehr konventionell – per Brief und Telefax – mit der Justiz kommunizieren, sondern nur noch digital, insbesondere mittels beA und besonderem elektronischen Behördenpostfach.

Als 2013 das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (sog. eJustice-Gesetz) verabschiedet wurde, sprach die Fachwelt bereits von einem sportlichen Zeitplan. Ende 2021 befinden sich die meisten professionellen Beteiligten an Gerichtsverfahren nun auf der Zielgeraden.

Ab dem 1.1.2022 im Rechtsverkehr für Anwälte zugelassene Übermittlungswege:

Die für die Justizkommunikation nutzbaren Übermittlungswege werden durch das Prozessrecht für alle Gerichtsbarkeiten einheitlich und abschließend festgelegt.

§ 130a Abs. 3 ZPO (und die entsprechenden Normen in den Fachgerichtsordnungen) sieht zwei Möglichkeiten vor, die Gerichte elektronisch zu erreichen; beide Varianten genügen zur Erfüllung der aktiven Nutzungspflicht.

Bei Nutzung eines beliebigen zugelassenen Übermittlungswegs (vgl. § 4 Abs. 1 ERVV) kann ein elektronisches Dokument formwahrend eingereicht werden, wenn eine am übermittelten Dokument angebrachte qualifizierte elektronische Signatur die Identität des Absenders bestätigt, § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Var. ZPO. Alternativ kann ein sog. sicherer Übermittlungsweg genutzt werden, dessen Privilegierung darin besteht, dass eine „einfache Signatur“ (der maschinenschriftliche Name oder eine eingescannte Unterschrift der verantwortenden Person unter dem Schriftsatz) genügt, sofern die verantwortende Person – bspw. Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt – selbst das Dokument absendet.

→ Fristversäumnis bei fehlerhafter qualifizierter elektronischer Signatur

Das besondere elektronische Anwaltspostfach als Standard-Übermittlungsweg

Die Rechtsanwaltschaft greift für die digitale Justizkommunikation selbstredend vor allem zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) gemäß §§ 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO, 31a BRAO, also zu einem sicheren Übermittlungsweg. Das beA ist ein Übermittlungsweg, der nur zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zur Verfügung steht, aber auf der etablierten EGVP-Infrastruktur aufbaut. Ein beA erhalten alle zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aufgrund ihrer Zulassung kraft Gesetzes ohne weiteres Zutun. Selbst kümmern müssen sie sich aber um die Ersteinrichtung des beA.

Sendet die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt selbst, genügt die einfache Signatur. Wird dagegen durch eine Bürokraft oder einen Vertreter gesendet, ist eine qualifizierte elektronische Signatur notwendig.

Das beA ist an die Person des Rechtsanwalts gebunden

Die Existenz eines beA-Zugangs ist streng an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 S. 1 BRAO gebunden. Das beA ist deshalb unmittelbar mit dem Bestehen der anwaltlichen Zulassung verknüpft. Nach Widerruf der Zulassung oder dem Tod der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts wird daher das Postfach zunächst deaktiviert und nach Ablauf einer angemessenen Zeit gelöscht (§ 31a Abs. 4 BRAO). Ein deaktiviertes Postfach ist für eingehende Nachrichten nicht zu erreichen. Ein Kanzleipostfach sieht das Gesetz nicht vor.

Eine Besonderheit besteht hinsichtlich Rechtsanwaltsgesellschaften: § 59 l BRAO verleiht der Rechtsanwaltsgesellschaft die Prozess- und Postulationsfähigkeit. Nicht der einzelne Anwalt, sondern die Gesellschaft wird mandatiert und erbringt die anwaltlichen Dienstleistungen. Derzeit müssen elektronische Zustellungen an Rechtsanwaltsgesellschaften an das beA-Postfach der Geschäftsführerin bzw. des Geschäftsführers erfolgen, weil diese gem. § 59f BRAO Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt sein muss und gem. § 170 Abs. 1 ZPO stets zustellungsbevollmächtigt ist. (Erst) mit Wirkung ab dem 1.8.2022 wird ein neues Rechtsanwaltsgesellschaftspostfach eingeführt. Gem. § 31b Abs. 1 BRAO richtet die BRAK dann für jede im Gesamtverzeichnis eingetragene Berufsausübungsgesellschaft ein beA empfangsbereit ein.

Die Deaktivierung des Postfachs erfolgt, sobald der entsprechende Eintrag im Gesamtverzeichnis nach § 31 BRAO durch die jeweilige Rechtsanwaltskammer gelöscht wird. Eine besondere Mitteilung an die Bundesrechtsanwaltskammer ist bei Widerruf der Zulassung oder Tod eines Rechtsanwalts nicht erforderlich. Ein schlichter Kammerwechsel hat dagegen für das beA keine Bedeutung. Auch eine Mitteilung hierüber an die BRAK als beA-Betreiber ist nicht notwendig.

Die Regeln der passiven Nutzungspflicht des beA gelten weiter

§ 173 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO idF ab 1.1.2022 erlaubt die elektronische Übermittlung an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Sie ist daher auch zulässig und wirksam, wenn diese über ein beA verfügen, gegenüber dem Gericht aber tatsächlich noch gar keine elektronische Kommunikation betreiben – und eigentlich zunächst auch nicht betreiben wollen (sog. initiativer elektronischer Rechtsverkehr).

Für das beA ist die passive Nutzungspflicht darüber hinaus im anwaltlichen Berufsrecht speziell in § 31a Abs. 6 BRAO geregelt. Neben die prozessrechtliche passive Nutzungspflicht des § 173 Abs. 1, 2 ZPO tritt deshalb für die Rechtsanwaltschaft noch zusätzlich eine berufsrechtliche passive Nutzungspflicht, die wiederum konkret auf das beA ausgerichtet ist. Verstöße haben entsprechend nicht nur prozessuale Folgen, sondern können auch berufsrechtliche Konsequenzen haben.

Passive Nutzungspflicht und Ausfall der Technik

Ebenso wie bei allen anderen Übermittlungswegen, ist auch bei den elektronischen Übermittlungswegen und damit auch beim beA ein (vorübergehender) Ausfall der Technik denkbar.

Im Falle eines vorübergehenden Ausfalls des beA besteht für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte keine Pflicht, sich kurzfristig um einen anderen sicheren Übermittlungsweg zu bemühen. Der berufsrechtlichen passiven Nutzungspflicht gem. § 31a Abs. 6 BRAO genügt ein Rechtsanwalt bereits, wenn er alles Erforderliche veranlasst hat, um sein beA in Betrieb nehmen zu können. Steht das System nicht zur Verfügung, hat (und kann) er es auch nicht (passiv) zu nutzen.

Schwieriger zu beurteilen ist die prozessrechtliche Frage, genauer die im Zustellungsrecht geschaffene Pflicht, einen sicheren Übermittlungsweg vorzuhalten, § 173 Abs. 2 Satz 1 ZPO. An der normativen Verpflichtung bestehen angesichts des Wortlauts des § 173 Abs. 2 S. 1 ZPO keine Zweifel – gleiches galt schon nach altem Recht für § 174 Abs. 3 S. 4 ZPO. Im Gegensatz zu § 31a BRAO bezieht sich § 173 Abs. 1, 2 ZPO auch gerade nicht ausschließlich auf das beA, sondern auf sämtliche sicheren Übermittlungswege gem. § 130a Abs. 4 ZPO; also auch auf die allgemein zugängliche De-Mail oder das neue elektronische Bürger- und Organisationspostfach (eBO) gem. § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO. Richtigerweise dürfte aber die prozessrechtliche passive Nutzungspflicht der Rechtsanwaltschaft teleologisch dahingehend auszulegen sein, dass lediglich die Verpflichtung besteht, alles Erforderliche zu tun, um mittels beA - nicht im Allgemeinen elektronisch - erreichbar zu sein. Eine Verpflichtung, sich auch um einen weiteren sicheren Übermittlungsweg als Ausfallreserve zu bemühen, besteht dagegen wohl nicht.

Fristversäumnisse drohen im Übrigen regelmäßig nicht, weil jedenfalls förmliche Zustellungen im elektronischen Rechtsverkehr an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gem. § 173 ZPO ausschließlich gegen Empfangsbekenntnis erfolgen. Die Zustellungsfiktion des § 173 Abs. 4 ZPO gilt für den in § 173 Abs. 2 ZPO genannten Nutzerkreis – insbesondere also Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – nicht.