Jedes Kind hat gegen seine Eltern einen Anspruch auf eine angemessene Ausbildung, die seinen Begabungen, Fähigkeiten, Leistungswillen und Neigungen entspricht (§ 1610 Abs. 2 BGB). Unterhaltspflicht und Ausbildungspflicht stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Während die Eltern eine Berufsausbildung ermöglichen müssen, trifft das unterhaltsberechtigte Kind die Obliegenheit, diese Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit durchzuführen und erfolgreich abzuschließen. Vor Aufnahme seiner Ausbildung wird dem Kind eine Orientierungsphase von zwei Semestern zugebilligt. Eine verspätete Aufnahme einer – an sich angemessenen Ausbildung – durch das Kind kann einem Unterhaltsanspruch entgegenstehen (BGH, Beschl. v. 3.5.2017 – XII ZB 415/16, BGH FamRZ 2017, 1132 = NJW 2017, 2278). Dies gilt insb. dann, wenn die Unterhaltsverpflichtung aufgrund der Verzögerungen u.U. in Zeiträume fällt, in denen aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Kindes steuerliche Erleichterungen, Bafög-Ansprüche, Kindergeld oder kindbezogene Gehaltsbestandteile nicht mehr genutzt werden können.
Bei längeren Verzögerungen z.B. aufgrund von Studienplatzbeschränkungen besteht einerseits eine Nachfrageobliegenheit der Eltern, andererseits eine Informationspflicht des Kindes (BGH, a.a.O.).
Besondere Probleme treten in der Praxis dann auf, wenn das Kind
- einen einmal begonnenen Ausbildungsweg abbricht, um eine andere Ausbildung aufzunehmen (Ausbildungswechsel) oder
- wenn nach einer abgeschlossenen Ausbildung eine weitere Ausbildung aufgenommen wird (Zusatzausbildung, Zweitstudium).
Wird nach dem Abitur erst eine Lehre absolviert und dann ein Studium begonnen, schulden die Eltern nur dann Unterhalt, wenn ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang gegeben ist.
Bei der Berechnung des Anspruchs ist wie folgt vorzugehen:
- Der Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes ist nach dem zusammengerechneten bereinigten Einkommen beider Eltern festzustellen. Bei einem auswärts wohnenden Studenten wird ein fester Bedarfsbetrag angesetzt.
- Hierauf ist eigenes bereinigtes Einkommen des volljährigen Kindes bedarfsmindernd anzurechnen, also auch eine Ausbildungsvergütung. Nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen von 100 EUR (2019).
- Das Kindergeld wird in voller Höhe auf den Bedarf angerechnet (§ 1612b Abs. 1 Nr. 2 BGB).
- Für den Restbetrag haften die Eltern anteilig.
Bereinigtes Nettoeinkommen des Vaters |
2.600,00 EUR |
bereinigtes Nettoeinkommen der Mutter |
2.300,00 EUR |
Summe |
4.900,00 EUR |
Der Unterhaltsbedarf ergibt sich dann aus der Düsseldorfer Tabelle (Werte 2019).
Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes |
802,00 EUR |
abzgl. volles Kindergeld |
- 204,00 EUR |
verbleibender ungedeckter Bedarf des Kindes |
598,00 EUR |
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Berechnung der Haftungsverteilung |
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bereinigtes Nettoeinkommen des Vaters |
2.600,00 EUR |
Selbstbehalt gegenüber Volljährigen |
1.300,00 EUR |
anzurechnen beim Vater |
1.300,00 EUR |
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bereinigtes Nettoeinkommen der Mutter |
2.300,00 EUR |
Selbstbehalt gegenüber Volljährigen |
1.300,00 EUR |
anzurechnen bei der Mutter |
1.000,00 EUR |
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Haftungsanteil des Vaters in % |
56,52 % |
Haftungsanteil der Mutter in % |
43,48 % |
Unterhaltsanspruch gegen den Vater |
337,99 EUR |
Unterhaltsanspruch gegen die Mutter |
260,01 EUR |
Summe |
598,00 EUR |
Beschränkung auf den Betrag bei alleiniger Haftung
Allerdings ist die Unterhaltspflicht bei anteiliger Haftung auf den Betrag begrenzt, den der Unterhaltspflichtige bei alleiniger Unterhaltshaftung auf der Grundlage seines Einkommens zu zahlen hätte (BGH, Beschl. v. 15.2.2017 – XII ZB 201/16, FamRZ 2017, 711).
Praxistipp:
Diese – in der Praxis nicht selten übersehene – Vorgabe führt dazu, dass in zahlreichen Fällen eine Zahlungspflicht des in Anspruch genommenen Elternteils nach seiner anteiligen Haftung gar nicht zum Tragen kommt, sondern er nur den geringeren Betrag zu zahlen hat, der sich nach der Berechnung auf der Basis nur seines Einkommens ergibt.
Unterhalt bei Einkommen 2.600 EUR (Gruppe 4, Wert 2019) |
607,00 EUR |
abzgl. volles Kindergeld |
– 204,00 EUR |
Zahlbetrag |
403,00 EUR |
Betrag bei anteiliger Haftung |
337,99 EUR |
= Verpflichtung aufgrund anteiliger Haftung i.H.v. |
337,99 EUR |
Da der Vater bei alleiniger Haftung mehr zahlen müsste, bleibt es bei dem aufgrund der anteiligen Haftung errechneten Unterhaltsbetrag.