Auch in diesem Jahr ergingen einige Entscheidungen, die sich mit den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels auseinandersetzten. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u.a. zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Begründungsfrist einzuhalten. Dabei ist das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
1. Elektronischer Fristenkalender
In einem vom III. Zivilsenat zu entscheidenden Fall (Beschl. v. 28.2.2019 – III ZB 96/18, ZAP EN-Nr. 250/2019) beruhte die Versäumung der Begründungsfrist darauf, dass Frist und Vorfrist nicht in dem von der Kanzlei des bevollmächtigten Anwalts verwendeten elektronischen Fristenkalender gespeichert worden waren. Der Anwalt brachte zu seiner Entlastung vor, die versäumte Speicherung habe nicht auf einem Organisationsverschulden beruht, da in seiner Kanzlei eine automatisierte programmseitige Eingabekontrolle praktiziert werde. Dies reichte dem BGH jedoch nicht aus. Die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung dürfe keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Deshalb sei die Fertigung eines Kontrollausdrucks erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen. Eine rein elektronische Kontrolle sei deutlich anfälliger als eine Kontrolle mittels eines Ausdrucks, insb. für ein sog. Augenblicksversagen der mit ihr beauftragten Mitarbeiter. Auch wenn diese Rechtsprechung wenig zeitgemäß ist, müssen Kanzleien, die derartige Programme verwenden, ihre Praxis umstellen. Es liegt nun an den Anbietern elektronischer Fristenkalender, überzeugende technische Lösungen zu entwickeln, die eine der Papierlösung äquivalente Fristenkontrolle gewährleisten.
2. Verwendung des beA
Gleich mehrmals hatten sich Gerichte im vergangenen Jahr mit den Sorgfaltspflichten, die einen Anwalt bei Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA treffen, zu befassen. Wie bei einem Faxgerät hat der Anwalt nach dem BAG das zuständige Personal auch bei Nutzung des beA dahingehend zu belehren, dass stets der Erfolg des Sendevorgangs zu kontrollieren ist (Beschl. v. 7.8.2019 – 5 AZB 16/19; ebenso OVG Magdeburg, Beschl. 28.8.2019 – 2 M 58/19). Hierzu muss der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung überprüft und nicht nur der "Gesendet"-Ordner aufgerufen werden. Der Anwalt hat zudem zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen, ob seine Anweisungen eingehalten werden. Allerdings gibt das beA Versand und Zugang eines Schriftsatzes nicht immer richtig an, wie eine Entscheidung des BFH (Beschl. v. 5.6.2019 – IX B 121/18) zeigt. Im zugrunde liegenden Fall war ein über das beA versendeter Schriftsatz wegen in der Dateibezeichnung enthaltener unzulässiger Zeichen in ein für das Gericht unzugängliches Verzeichnis für "korrupte" Nachrichten verschoben wurden. Da das Postfach dem Anwalt aber signalisiert hatte, es sei alles in Ordnung, gewährte der BFH Wiedereinsetzung.
3. Probleme rund um das Faxgerät
Nach Auffassung des VIII. Senats (Beschl. v. 20.8.2019 – VIII ZB 19/18) können bei Übermittlung des Begründungsschriftsatzes per Fax Störungen des Empfangsgeräts im Gericht grds. kein Anwaltsverschulden begründen. Denn mit der Wahl einer Telefaxübertragung habe der Anwalt bei ordnungsgemäßer Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, zumindest wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginne, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis zum Fristablauf zu rechnen sei. Im Ausgangspunkt zutreffend hat der Senat aber weitergehend ausgeführt, dass der Anwalt seine Versendungsbemühungen nicht vorschnell weit vor Fristablauf abbrechen dürfe. Daran anknüpfend stellt sich aber die Frage, wie umfangreich die seitens des Anwalts geschuldeten Bemühungen und die einzuplanende Zeitreserve sein muss. Der VIII. Senat legt insofern einen zweifelhaften Maßstab an und überdehnt das anwaltliche Pflichtenprogramm: So soll die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann ausscheiden, wenn ein Anwalt nach mehr als 54 (!) infolge der Überlastung oder einer beschränkten technischen Störung des Empfangsgeräts gescheiterten Übermittlungsversuchen ab etwa 20 Uhr am Tag des Fristablaufs weitere Sendeversuche unterlassen hat.
Weniger angreifbar ist eine Entscheidung des IX. Senats (Beschl. v. 14.11.2019 – IX ZB 18/19) zu den Anstrengungen, die bei der Ermittlung der richtigen Faxnummer zu unternehmen sind. Danach muss ein Anwalt den Abgleich der auf dem Sendeprotokoll ausgedruckten Faxnummer anhand einer zuverlässigen Quelle, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist, anweisen. Dabei kann der Vergleich mit einer bereits zuvor schriftlich niedergelegten Faxnummer genügen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits aus einer seriöse...