I. Einleitung
Das Anwaltsrecht fristet schon lange kein Nischendasein mehr. Auch wenn nach wie vor das anwaltliche Berufsrecht nicht Gegenstand der juristischen Ausbildung ist (vgl. Deckenbrock NJW 2017, 1425, 1430), ist es für die Anwaltschaft unverzichtbar, über die aktuellen Entwicklungen der sie betreffenden Berufsregeln informiert zu sein. Welche Dynamik das Anwaltsrecht aktuell hat, ist auch im vergangenen Berichtsjahr wieder deutlich geworden. In 2019 wurden nicht nur rechtspolitische Vorhaben wie die Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts und der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht angestoßen (dazu II.), sondern es sind erneut zahlreiche Gerichtsentscheidungen zu den verschiedenen Teilbereichen des Anwaltsrechts ergangen. Im Mittelpunkt der Diskussion vor den Gerichten, in Anwaltschaft, Forschung und interessierter Öffentlichkeit stand aber der neue "Megatrend" Legal Tech und die Frage, inwieweit nichtanwaltliche Dienstleister auf den Rechtsberatungsmarkt drängen. Die lange erwartete Entscheidung des BGH in Sachen "wenigermiete.de" (dazu IX. 2.) hat hier zwar wichtige Fragen klären können, die Zulässigkeit von Vertragsgeneratoren und anders organisierter Online-Portale bleibt aber weiter unklar.
Auch die diesjährige Ausgabe des Berufsrechtsreports, die an die Ausführungen in ZAP 2019, 115 anknüpft, gibt wieder einen Überblick über wesentliche rechtspolitische Entwicklungen und die wichtigste Rechtsprechung im anwaltlichen Berufsrecht im vergangenen Jahr (ein weiterer Überblick findet sich bei Grunewald NJW 2019, 3620; speziell zur Entwicklung des Anwaltshaftungsrechts von Mitte 2018 bis Mitte 2019 s. Borgmann NJW 2019, 3557; zur Entwicklung der Rechtsanwaltsvergütung 2019 s. Mayer NJW 2019, 3426).
II. Rechtspolitische Entwicklungen
1. Anwaltliches Gesellschaftsrecht
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat Ende August 2019 insgesamt 20 Eckdaten der geplanten Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts vorgestellt. In dem Eckpunktepapier bekräftigt das Ministerium, dass reine Kapitalbeteiligungen von Gesellschaftern, die nicht in der Gesellschaft tätig sind, zum Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit weiterhin verboten bleiben sollen. Allerdings hat das BMJV angekündigt, gewisse Lockerungen dieses sog. Fremdkapitalverbots für eng begrenzte Fälle zu erwägen. So will es eine Ausnahme etwa für Beteiligungen nicht mehr aktiver Berufsangehöriger mit der Maßgabe prüfen, dass die Einhaltung des anwaltlichen Berufsrechts – beispielsweise durch eine Höchstgrenze für Beteiligungen und neue Berufspflichten der Rechtsanwälte – besonders abgesichert wird. Zudem steht die Überlegung im Raum, reine Kapitalbeteiligungen auch mit dem Ziel zu erlauben, alternative Finanzierungswege durch sog. Wagniskapital für solche Rechtsanwälte zu eröffnen, die sich z.B. im Legal-Tech-Bereich hohen Anfangsinvestitionen gegenübersehen. Ob diese Ausnahmen vom "Fremdbesitzverbot" tatsächlich Gesetz werden, darf allerdings angesichts des von BRAK und DAV bereits deutlich artikulierten Widerstands bezweifelt werden.
Auch im Übrigen birgt das Eckpunktepapier Sprengstoff. Nach den Vorstellungen des BMJV soll der Kreis der sozietätsfähigen Berufe, der sich bislang im Wesentlichen auf Steuerberater und Wirtschaftsprüfer begrenzt, i.R.d. anstehenden Reform deutlich erweitert werden. Künftig sollen Angehörige aller "vereinbaren" Berufe Gesellschafter von Berufsausübungsgesellschaften sein dürfen. Hierunter fallen alle Berufe, die Rechtsanwälte bereits jetzt als Zweitberuf ausüben dürfen. Eine solche Öffnung würde bedeuten, dass Anwälte sich mit beinahe jedem Berufstätigen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zusammenschließen dürften. Im Wesentlichen wäre ihnen nur die berufliche Zusammenarbeit mit Maklern verwehrt, deren Provisionsinteresse sich anerkanntermaßen nicht mit der anwaltlichen Unabhängigkeit verträgt (vgl. Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 7 Rn 105).
Im Übrigen dürfte es gegen die Vorstellungen des BMJV, die in vielerlei Hinsicht dem Gesetzesvorschlag folgen, den der Kölner Universitätsprofessor Martin Henssler 2018 im Auftrag des DAV (AnwBl Online 2018, 564; vgl. auch DAV-Stellungnahme Nr. 8/2019, AnwBl Online 2019, 257) ausgearbeitet hat, keine grundsätzlichen Vorbehalte geben. Festgeschrieben werden soll etwa, dass einer Berufsausübungsgesellschaft alle nationalen und europäischen Rechtsformen zur Verfügung stehen. Erst im Rahmen des für diese Legislaturperiode ebenfalls vorgesehenen Gesetzesvorhabens zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts soll allerdings entschieden werden, ob den Anwälten künftig sogar – wie von vielen Seiten gefordert – die GmbH & Co. KG als Rechtsform eröffnet wird. Dagegen soll erstmals in der BRAO das Schicksal ausländischer Berufsausübungsgesellschaften, die (auch) auf dem deutschen Markt auftreten wollen, geregelt werden.
Allgemein sollen für die Berufsausübungsgesellschaften rechtsformneutrale und soweit wie möglich einheitliche berufsrechtliche Regelungen geschaffen werden. Teil...