Eine wichtige Entscheidung für Flugreisende hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) gefällt: Danach begründet die bloße Umleitung eines Flugs zu einem nahe gelegenen Flughafen (hier: Berlin Schönefeld statt Berlin Tegel) keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung. Allerdings muss die Fluggesellschaft dem Fluggast die Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder ggf. zu einem sonstigen nahe gelegenen Zielort ersetzen (EuGH, Urt. v. 22.4.2021 – C-826/19).
Dem EuGH lag folgender Fall zur Entscheidung vor: Ein Flug der Austrian Airlines von Wien nach Berlin kam wegen einer Umleitung nicht am Flughafen Berlin Tegel, sondern mit fast einer Stunde Verspätung am Flughafen Berlin Schönefeld an. Die Airline bot den Passagieren weder einen Weitertransport noch die Übernahme der Kosten für die Beförderung zum Flughafen Berlin Tegel an. Sie machte geltend, dass die bloße Umleitung zu einem nahe gelegenen Flughafen keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung begründe. Außerdem seien für die Verspätung gravierende Wetterprobleme bei einem vorangegangenen Flug mit demselben Flugzeug ursächlich, so dass sie auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen seien. Ein Passagier bestand jedoch auf einer pauschalen Ausgleichszahlung i.H.v. 250 EUR und berief sich auf die EU-Verordnung Nr. 261/2004 vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl 2004, L 46, S. 1).
Zu Unrecht, entschied der EuGH. Soweit ersichtlich stellt das EU-Gericht erstmals klar, dass ein Fluggast keinen Ausgleichsanspruch aus dem Gesichtspunkt der „Annullierung” hat, wenn sein Flug zu einem Flughafen umgeleitet wird, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient. Es sei nicht erforderlich, dass der Ausweichflughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder in derselben Region wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehen liege, um davon ausgehen zu können, dass der Ausweichflughafen denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bediene. Es komme lediglich darauf an, dass der Ausweichflughafen in unmittelbarer Nähe des in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafens liege.
Unter dem weiteren Gesichtspunkt der „Verspätung” könne der Fluggast zwar auch einen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung geltend machen, wenn er sein Endziel, d.h. den in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder einen sonstigen nahe gelegenen, mit ihm vereinbarten Zielort, mindestens drei Stunden nach der ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit erreiche. Für die Ermittlung des Ausmaßes der Ankunftsverspätung sei auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem der Fluggast nach Beendigung seiner Anschlussbeförderung an dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen bzw. ggf. an einem sonstigen nahe gelegenen, mit der Fluggesellschaft vereinbarten Zielort ankomme. Allerdings könne sich hier die Fluggesellschaft von ihrer Entschädigungspflicht befreien, wenn sie sich auf einen „außergewöhnlichen Umstand” berufen könne. Das bejahte der EuGH im vorliegenden Fall, auch wenn der außergewöhnliche Umstand nicht den verspäteten Flug selbst, sondern einen vorangegangenen Flug betroffen hatte, den die Airline selbst mit demselben Flugzeug i.R.v. dessen „Vorvorvorrotation” durchgeführt hatte.
Auch wenn der Fluggast im vorliegenden Fall keinen pauschalen Entschädigungsanspruch nach der eingangs genannten Richtlinie hatte, so müsse, entschied der EuGH weiter, die Airline ihm dennoch die Übernahme der Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder ggf. zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit ihm vereinbarten Zielort von sich aus anbieten. Das Unterlassen dieses Angebots begründe daher einen Anspruch des Fluggastes auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Beträge, die sich als notwendig, angemessen und zumutbar erwiesen hätten.
[Quelle: EuGH]