Der BGH musste sich in zwei Verfahren mit den in § 5 FAO niedergelegten Anforderungen an die praktische Erfahrung von Anwälten, die die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung (§ 43c BRAO) anstreben, auseinandersetzen. Wer Fachanwalt für Insolvenzrecht werden will, muss in den letzten drei Jahren vor Antragstellung in fünf (Regel-)Insolvenzverfahren als Insolvenzverwalter tätig werden. Dabei muss der Schuldner in mindestens zwei Verfahren bei Verfahrenseröffnung mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigen (§ 5 Abs. 1 g Nr. 1 FAO). Jede Insolvenzverwaltung in einem eröffneten Regelinsolvenzverfahren mit einem Schuldner, der bei Eröffnung mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, kann durch sechs Verfahren als Sachwalter nach § 270 InsO, als vorläufiger Insolvenzverwalter, als vorläufiger Sachwalter gem. § 270a und § 270b InsO, als Sanierungsgeschäftsführer oder als Vertreter des Schuldners im Unternehmensinsolvenzverfahren oder im Verbraucherinsolvenzverfahren (§ 5 Abs. 1 g Nr. 3a FAO), jede andere Insolvenzverwaltung in einem eröffneten Regelinsolvenzverfahren durch zwei der genannten Verfahren (§ 5 Abs. 1 g S. 1 Nr. 3b FAO) ersetzt werden. Den – praktisch seltenen, nur die Fallgestaltung von Insolvenzverwaltungen bei Unternehmen mit mehr als fünf Arbeitnehmern betreffenden – Fall, dass ein Bewerber zwar vom Gericht in ausreichender Zahl, aber nicht in hinreichend großen Unternehmen mit entsprechender Mitarbeiterzahl zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, dieser Bewerber daher auf eine Substitution durch Insolvenzverwaltungen in kleineren Unternehmen angewiesen sein könnte, wurde hingegen von der für die FAO zuständigen Satzungsversammlung nach Auffassung des Senats nicht bedacht. Dem Gesetzeswortlaut zufolge wäre aus diesem Grund der Erwerb eines Fachanwaltstitels zwar sogar ohne vorherige Tätigkeit als Insolvenzverwalter (in eröffneten Verfahren) möglich (gem. § 5 Abs. 1 g Nr. 3a FAO), nicht aber, wenn zwar eine ganze Reihe von Tätigkeiten in eröffneten Insolvenzverfahren zu Buche stehen, die aber nur teilweise große Unternehmen mit mehr als fünf Arbeitnehmern betrafen. Der Anwaltssenat hat hierin nunmehr eine planwidrige Regelungslücke gesehen, die im Wege einer Analogie zu schließen sei (Urt. v. 10.6.2020 – AnwZ [Brfg] 1/20 m. Anm. Willmer/Berner NZI 2020, 943). Demnach könne das Erfordernis einer Insolvenzverwaltung in zwei Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners mit mehr als fünf Arbeitnehmern im Zeitpunkt der Eröffnung durch jeweils sechs Insolvenzverwaltungen in Unternehmen mit weniger als sechs Arbeitnehmern ersetzt werden. Aus Praktikersicht hat der Anwaltssenat hier eine durchaus zufriedenstellende Lösung gefunden, es stellt sich aber die Frage, ob nicht die methodischen Grenzen einer zulässigen Gesetzeslückenschließung überschritten wurden und der BGH hier den Bereich einer freien Rechtsfortbildung betreten hat.
Demgegenüber soll eine Ersetzung der in § 5 Abs. 1 g Nr. 1 FAO genannten Voraussetzungen durch eine Tätigkeit als Schuldnervertreter vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht möglich sein. Aus § 5 Abs. 1 g Nr. 3a FAO, nach dem eine Ersetzung unter anderem durch eine Tätigkeit als Vertreter des Schuldners in Unternehmensinsolvenzverfahren und Verbraucherinsolvenzverfahren möglich ist, ergebe sich – so der Anwaltssenat in einem anderen Beschluss (v. 16.10.2020 – AnwZ [Brfg] 23/20) –, dass die Tätigkeit als Schuldnervertreter im Vorfeld des eröffneten Insolvenzverfahrens nicht anrechnungsfähig sein solle. Der Beschluss zeigt, wie schwierig es ist, Einzelbeteiligungen an mehrstufigen, für ein jeweiliges Rechtsgebiet charakteristischen Verfahren, im Hinblick auf die dabei zu erlangenden Berufserfahrungen voneinander abzugrenzen.
In einem anderen Verfahren musste der Anwaltssenat sich der Frage widmen, inwieweit ein Rechtsanwalt, der die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung für Transport- und Speditionsrecht begehrte, die von ihm innerhalb der letzten drei Jahre vor Antragstellung nachzuweisenden Fälle in einem nicht unerheblichen Umfang mit Verfahren, die Ansprüche aus Luftbeförderungsverträgen im Hinblick auf Verspätungen und Flugannullierungen betrafen, abdecken konnte. Der Anwaltssenat des BGH (Urt. v. 22.6.2020 – AnwZ [Brfg] 48/19, ZAP EN-Nr. 456/2020) hat dies verneint. Vielmehr dürfte ein Mandant, der einen Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht aufsucht, berechtigterweise erwarten, dass dieser sich, soweit das Transportrecht betroffen ist, in erster Linie im Bereich des Gütertransportrechts auskenne. Ansprüche im Zusammenhang mit der Fluggastrechte-Verordnung unterfielen nicht dem „Recht des nationalen und grenzüberschreitenden Transports zu Wasser, auf der Schiene und in der Luft” (vgl. § 14g Nr. 2 FAO), sondern wären eher dem Reiserecht zuzuordnen, da es sich bei der Beförderung von Personen und der sie begleitenden Gepäckstücke oft um eine der Hauptleistungen aus einem Reisevertrag handele.
In einem weiteren Beschluss hat der Anwaltssenat klargestellt, dass ein...