Anwälte versuchen zunehmend, deutschlandweit Mandate zu akquirieren. Der Anwaltsvertrag wird dann per Telefon oder über das Internet geschlossen. Gerade in Fällen, die keinen konkreten Ortsbezug haben, vermag sich der fehlende persönliche Kontakt auch kaum negativ auf die Mandatsbearbeitung auszuwirken. Bislang oftmals übersehen wird aber noch, dass der Anwaltsvertrag in der Folge den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein kann, da Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss dann unter Nutzung von Fernkommunikationsmitteln i.S.d. § 312c Abs. 2 BGB erfolgt sind. In der Folge kann dem Mandanten ein Widerrufsrecht gem. § 355 Abs. 1 S. 1 BGB zustehen, bei dessen Ausübung der Anwalt die bereits erhaltenen Vorschüsse zurückzuzahlen hat (§ 355 Abs. 3 S. 1 BGB). Erst recht steht ihm dann kein Anspruch auf das restliche Anwaltshonorar mehr zu. Auch für seine vor dem Widerruf bereits erbrachten Leistungen kann er keinen Wertersatz verlangen, sofern er den Mandanten über diese Möglichkeit nicht ausdrücklich informiert hat (§ 357 Abs. 8 BGB). Wurde der Mandant nicht ordnungsgemäß belehrt, hat er für den Widerruf sogar zwölf Monate und 14 Tage Zeit, da dann die 14-tägige Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt (§§ 355 Abs. 2 S. 1, 356 Abs. 3 S. 2 BGB). Die Gefahr eines Widerrufs des Anwaltsvertrags hätte Anwälten spätestens seit einem Urteil des BGH vom 23.11.2017 (Az. IX ZR 204/16) klar vor Augen stehen müssen (Markworth AnwBl 2018, 214 ff.).
Ganz aktuell hatte der IX. Zivilsenat nun Gelegenheit, seine Rechtsprechung weiterzuentwicklen. Seinem Urteil vom 19.11.2020 (Az. IX ZR 133/19, ZAP EN-Nr. 21/2020, s. Markworth NZFam 2021, demnächst) lag ein Fall zugrunde, bei dem eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in Köln für einen Studenten auf Vermittlung des AStA seiner Universität vor dem VG Arnsberg gegen einen Notenbescheid seiner Universität geklagt hatte. Nach einer telefonischen Vorberatung hatte der Student eine Honorarvereinbarung unterzeichnet und einen Vorschuss geleistet. Als die Anwaltskanzlei nach dem Prozess den Rest ihrer Vergütung verlangte, widerrief er jedoch den Anwaltsvertrag und verlangte den gezahlten Vorschuss – zu Recht, wie der BGH schließlich entschied – zurück.
Damit ein Widerrufsrecht gegeben ist, muss der Anwaltsvertrag nicht nur unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verhandelt und abgeschlossen sein, sondern auch im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems. Letzteres wird nach der gesetzlichen Regelung widerleglich vermutet (§ 312c Abs. 1 BGB). Der Anwalt muss also darlegen und beweisen, dass der Vertragsschluss außerhalb eines solchen Systems erfolgt ist. Maßgeblich kommt es darauf an, zu widerlegen, dass der Anwalt gezielt Fernkommunikationsmittel zum regelmäßigen Abschluss von Anwaltsverträgen einsetzt und seine Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, eine Vielzahl von Mandanten unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen. Dies wird umso schwieriger, je mehr Indizien sich für die gegenteilige Vermutung anführen lassen, wobei der BGH zu Recht v.a. auf die (Internet-) Werbung des Anwalts schauen will. Wer unabhängig vom Kanzleistandort deutschlandweit um Mandate zu speziellen Themen wirbt und eine entsprechend hohe Zahl von Anfragen bekommt, bei dem liegt ein systematisches Handeln nahe. Unerheblich ist dann, ob der Anwalt sich vorbehält, Mandate (nach einer telefonischen Erstberatung) noch abzulehnen oder es i.R.d. Mandatsbearbeitung regelmäßig doch noch zu persönlichen Kontakten kommt.