Seit Jahresbeginn gilt das reformierte Vormundschaftsrecht. Zu den Auswirkungen der Novelle auf die Familien äußerten sich im April Sachverständige und Betroffene in einem öffentlichen Fachgespräch des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ihr Fazit: Die Reform habe wichtige Impulse gesetzt; jetzt komme es bei der Umsetzung darauf an, mehr Zeit für die betroffenen Kinder, weniger Fälle pro Vormund und eine bessere Qualifikation der in dem Bereich Tätigen zu erreichen.
Das Vormundschaftsrecht werde heute anders gedacht als vor zwanzig Jahren, erläuterte eine Professorin von der FU Berlin. Heute stehe, über die rechtliche Betreuung hinaus, mehr der Kontakt zu dem anvertrauten Kind im Mittelpunkt. Das Kind müsse den Eindruck haben: Zu dem oder der kann ich kommen, wenn es nötig ist. Um mehr Zeit für die Kinder zu haben, müsse die Zahl der Fälle pro Betreuer gesenkt werden, so die Sachverständige. Insgesamt bescheinigte sie der Reform aber, wichtige und richtige Impulse gesetzt zu haben.
Die Reform des Vormundschaftsrechts sei ein Meilenstein auf dem Weg zur kinderrechtsbasierten Vormundschaft und mehr Kinderschutz und setze wichtige Akzente für eine besonders vulnerable Gruppe, bestätigte die Expertin vom Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. Sie stärke die Rechte der Kinder, aber auch die Verantwortung der Betreuer. Kinder bräuchten Vormünder, die sich aktiv für sie einsetzten. Um ihrer anspruchsvollen Aufgabe gerecht zu werden, brauche es für ehrenamtliche Vormünder entsprechende Schulungen und Qualitätskriterien. Ein Vormund müsse sich mit einer breiten Palette an Themen und Fachgebieten, von der Entwicklungspsychologie bis zu pädagogischer Kompetenz, auskennen und das ihm anvertraute Kind in allen Lebenslagen begleiten. In der Reform stecke großes Potenzial; sie werde aber kein „Selbstläufer”, sondern müsse in der praktischen Umsetzung begleitet und gestaltet werden, so die Expertin.
Eine Sachverständige vom Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e.V. plädierte dafür, das Potenzial der Vormundschaftsvereine zu nutzen. Die 167 Vormundschaftsvereine in Deutschland, die sich zumeist in konfessioneller Trägerschaft befänden, verfügten über viel Kompetenz und Erfahrung, um eine kinderrechtsbasierte Vormundschaft zu gewährleisten. In der offiziellen Statistik würden leider nur die Amtsvormundschaften geführt. Für rd. 6.000 Kinder und Jugendliche aber hätten im Jahr 2020 Vormundschaftsvereine Vormundschaften und Pflegschaften übernommen. Es müsse jetzt darum gehen, diese Vereine finanziell besser auszustatten. An die Stelle minutengenauer Abrechnung müsse eine verlässliche Pauschale pro Fall treten, die Finanzierung müsse dynamisiert werden, forderte die Expertin. Wegen der aktuell mangelhaften Finanzierung würden kaum neue Vereine gegründet.
Auf „Baustellen” aus der juristischen Praxis wies eine Familienrichterin am Amtsgericht Kiel und Fachkoordinatorin für Familienrecht in Schleswig-Holstein hin. So habe die Vormundschaftsreform zu einer erhöhten Belastung der Rechtspfleger geführt, deren Verantwortungsbereich ausgedehnt worden sei. Die Drei-Monats-Frist zur Bestellung eines endgültigen Vormunds sei angesichts der Länge des Hauptsacheverfahrens viel zu kurz. Während die Reform den Jugendämtern erhöhte Ermittlungs- und Darlegungspflichten auferlegt habe, entscheide das Familiengericht über die Person des Vormunds i.d.R. nach nur einem Termin – dies sei viel zu wenig Zeit, um sich einen grundlegenden Eindruck zu verschaffen. Andererseits führe die deutliche Ausweitung der Anhörung von Kindern durch eine Vielzahl fremder Personen zu einer hohen Belastung oder „Anhörungsmüdigkeit” der Kinder, die ihre Geschichte immer wieder neu erzählen müssten, berichtete die Expertin.
Die zuständige Referatsleiterin im BMJ war der Auffassung, dass der Reform jetzt erst einmal Zeit gegeben werden müsse, um ihre Wirkung zu entfalten. Man werde in einem Evaluierungsprozess in die Praxis „hineinhorchen” und die Umsetzung mit allen Betroffenen kontinuierlich begleiten.
[Quelle: Deutscher Bundestag]