In vielen Bundesländern droht eine Klagewelle wegen der neuen Berechnung der Grundsteuer. Denn mehrere Verbände wollen Musterklagen in zunächst fünf Bundesländern – Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen – anstrengen. Sie stützen sich auf ein Rechtsgutachten des Staatsrechtlers Prof. Dr. Gregor Kirchhof, das dieser im Auftrag des Bundes der Steuerzahler Deutschland sowie des Eigentümerverbands Haus & Grund Deutschland angefertigt hat. Das 73-seitige Papier des Jura-Professors von der Universität Augsburg kommt zu dem Schluss, dass das sog. Bundesmodell, das in elf Bundesländern zur Anwendung kommt, verfassungswidrig ist.
Derzeit muss der Wert von fast 36 Mio. Immobilien aufgrund eines Entscheids des BVerfG neu berechnet werden. Rund 15 bis 20 Mio. Steuerbescheide wurden bereits seit Einreichung der von den Grundeigentümern auszufüllenden Unterlagen ausgestellt. Viele Eigentümer erlebten dabei eine böse Überraschung: Oft sind die Bodenrichtwerte deutlich höher als bisher. „Wir haben noch nie so viele besorgte Steuerzahler gehabt”, schilderte der Präsident des Steuerzahlerbunds, Reiner Holznagel, kürzlich gegenüber der Presse. Sein Verband und auch Haus & Grund empfehlen ihren Mitgliedern, Einspruch gegen die von den Finanzämtern zum Teil bereits verschickten Bescheide zum Wert ihrer Immobilien einzulegen. Diese Bescheide sind in den meisten Bundesländern Grundlage für die künftige Grundsteuer-Berechnung.
Als Grundlage für die geplanten Klagen gegen das Bundesmodell sehen die Verbände dabei das Rechtsgutachten Kirchhofs. Nach dessen Auffassung bestehen bereits Probleme, wie der Bund seine Gesetzgebungskompetenz genutzt hat. Der Bund sei von Kompetenzschranken ausgegangen, die nach der Verfassungsreform im Herbst 2019 gar nicht mehr bestanden hätten, er habe seine Kompetenzen daher nicht verfassungsmäßig genutzt. Insgesamt hat Kirchhof fünf Aspekte ausgemacht, bei denen er eine Verfassungswidrigkeit erkennt:
Überschneidung mit der Vermögens- und Einkommensteuer
Kirchhof kritisiert, dass beim Bundesmodell sich die Grundsteuer zu stark an dem Wert von Grund und Boden orientiert. Damit greife das Bundesmodell strukturell in den Bereich der Vermögens- und Einkommensteuer ein. Der Bund habe kein eigenes Bewertungssystem für die Grundsteuer geschaffen, obwohl das Bundesverfassungsgericht ein solches System ausdrücklich verlangt habe.
Unterschiedliche Bodenrichtwerte
Ein weiterer Kritikpunkt sind die in den Ländern stark voneinander abweichenden Bodenrichtwerte. Sie würden „systematische Bewertungslücken” aufweisen, so das Gutachten. Dies stelle einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG dar.
Unzulässige Pauschalierungen
Das Bundesmodell greift auf sehr viele Parameter zurück, einige davon werden pauschaliert ermittelt, wie etwa die Nettokaltmiete. Dies führt zu einer komplexen Bewertung, die nach Auffassung Kirchhofs in Massenverfahren nur schwer anwendbar ist. Diese Komplexität ist nach Auffassung des Verfassungsrechtlers unnötig, weil der Bund irrtümlich Kompetenzschranken eingehalten habe, die nach der Verfassungsreform im Jahr 2019 gar nicht mehr bestanden hätten.
Vernachlässigung individueller Umstände
Die stark pauschalierende Ermittlung der Grundstückswerte lässt nach Meinung des Gutachters auch „individuelle öffentlich-rechtliche Merkmale” sowie „individuelle privatrechtliche Vereinbarungen und Belastungen” in verfassungswidriger Weise außer Betracht. Das betreffe etwa Baulasten, Denkmalschutz-Auflagen, Immissionen, Baumängel oder auch einen besonders guten Erhaltungszustand eines Gebäudes. Dies sei ein weiterer Verstoß gegen den Gleichheitssatz des GG.
Rechtsschutzlücke wegen noch nicht feststehender Steuerlast
Kirchhof kritisiert des Weiteren, dass die betroffenen Steuerzahler jetzt noch gar nicht absehen können, wie hoch sie mit der neuen Grundsteuer tatsächlich belastet werden. Denn die Gemeinden würden erst im kommenden Jahr über die Hebesätze entscheiden. Dann aber würden die meisten Grundlagen-Bescheide bereits bestandskräftig sein. Dies reiße für sie eine Lücke im Rechtsschutz auf.
Die Verbände, die sich auf das Gutachten des Professors stützen, raten den Bundesländern, welche sich für das Bundesmodell entschieden haben, davon wieder Abstand zu nehmen. Sie sollten sich stattdessen für ein Grundsteuersystem wie in den Ländern Bayern, Hamburg, Hessen oder Niedersachsen entscheiden, denn dort sei die Materie „klarer und einfacher” geregelt.
[Quelle: Haus & Grund Deutschland]