(BGH, Beschl. v. 27.9.2022 – 5 StR 328/22) • Einem Angeklagten kann Wiedereinsetzung zu gewähren sein, wenn sein Anwalt technisch (noch) nicht in der Lage ist, fristgebundene Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) an das Gericht zu übermitteln. Der Rechtsanwalt ist allerdings grds. für die technische Infrastruktur verantwortlich, bei Übergangsproblemen liegt aber ein Verschulden des Mandanten fern. Technische Probleme muss der Verteidiger unabhängig davon unverzüglich glaubhaft machen.
ZAP EN-Nr. 708/2022
Anmerkung: Hier wurde tatsächlich Wiedereinsetzung gewährt. In der Sache hatte der Verteidiger Revision eingelegt. Das Landgericht hatte die Revision als unzulässig verworfen, weil diese nicht den Formvorschriften des § 32d S. 2 StPO entspreche, wonach der Verteidiger die Revision als elektronisches Dokument übermitteln muss.
Der Verteidiger hatte mittels „eidesstattlicher Versicherung” u.a. vorgetragen, im Zeitpunkt der Revisionseinlegung sei er aus technischen Gründen nicht in der Lage gewesen, die Revision über das beA zu versenden, weil er dieses erst nach zeitaufwändiger vollständiger Neuinstallation des Computersystems nebst Konfiguration der Sicherungssoftware abschließend habe installieren können.
Der Senat hat aufgrund des Vorbringens des Verteidigers dem Angeklagten nach § 45 Abs. 2 S. 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision zu gewähren.
Das Landgericht hat die Revision des Angeklagten zu Recht als unzulässig verworfen, da die Formvorschrift des § 32d S. 2 StPO nicht eingehalten wurde. Die vorübergehende Unmöglichkeit aus technischen Gründen wurde entgegen § 32d S. 4 Hs. 1 StPO weder bei der Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht, sodass die Ausnahmevorschrift des § 32d S. 3 StPO nicht greift. Hinzu kommt, dass ein Rechtsanwalt grds. für das Vorhalten der entsprechenden einsatzbereiten technischen Infrastruktur zu sorgen hat und eine Verzögerung bei der Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltsfachs regelmäßig keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung darstellt.
Da der Verteidiger mit Schriftsatz vom 14.7.2022 aber die Glaubhaftmachung nach § 32d S. 4 Hs. 1 StPO nachgeholt hat, nicht nach § 32d S. 4 Hs. 2 StPO zur Nachreichung eines elektronischen Dokuments aufgefordert wurde und es sich ersichtlich noch um technische Übergangsprobleme handelt, liegt ein Verschulden des Angeklagten am Fristversäumnis fern.
Praxistipp:
Auch in Strafsachen ist das beA verpflichtend zu nutzen, zumindest bei Berufung und Berufungsbegründung, Revision und Revisionsbegründung, Gegenerklärungen sowie der Privatklage und der Anschlusserklärung bei der Nebenklage ist die beA-Nutzung ein Muss. Wer auf der sicheren Seite sein will, nutzt das beA auch für Schriftsätze und Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, hier gilt eine „Sollvorschrift”. Und im Juli 2022 ging der Senat noch von „technischen Übergangsproblemen” aus. Zukünftig wird man sich nicht darauf verlassen können, dass andere Gerichte ähnlich entscheiden.