Justitia errötet nicht, obgleich sie hierzu allen Grund hätte:
Ebenso wie die Damen im Rotlichtmilieu ist Justitia nur gegen Vorkasse bereit, sich um die rechtlichen Belange der Bürger zu kümmern. Aus dem Rechtsstaatprinzip in Verbindung mit den Grundrechten ergibt sich ein Justizgewährungsanspruch, zumal ein Rechtsstaat das Justizmonopol für sich in Anspruch nehmen kann. Folgerichtig werden in vielen Rechtsstaaten, etwa in Frankreich, keine Gerichtsgebühren erhoben. Seit nunmehr 30 Jahren wird die Inanspruchnahme der Justiz davon abhängig gemacht, dass im Voraus drei Gerichtsgebühren gezahlt werden, obgleich in mehr als 30 % aller Verfahren nur eine einzige Gebühr anfällt.
Die Gerichtsgebühren sind nicht nur eine weitere Hemmschwelle, die Gerichte in Anspruch zu nehmen, sie dienen auch der Liquiditätsbeschaffung. Ergänzt wird dieses Vorgehen noch durch die Einforderung von Auslagenvorschüssen für die Ladung von Zeugen sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Nach § 379 ZPO „kann” die Ladung von Zeugen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens von der Zahlung eines Vorschusses abhängig gemacht werden. Die frühere Sollvorschrift wurde somit erheblich abgeschwächt. Gleichwohl fordern die meisten Richter weiterhin für die Vernehmung von Zeugen Vorschüsse zwischen 100 EUR und 300 EUR an – Beträge, die selten ausgeschöpft werden.
Justizminister und Gerichtspräsidenten erklären übereinstimmend, dass es eine entsprechende Weisung an die Richterschaft nicht gibt. Was treibt also Richter dazu, flächendeckend Auslagenvorschüsse anzufordern? Die Sorge um ihre Gehaltszahlung dürfte ebenso wenig begründet sein wie die nur selten in Erfüllung gehende Hoffnung, sich aufgrund der mangelnden Einzahlung von Auslagenvorschüssen eine Beweisaufnahme oder ein kontradiktorisches Urteil zu ersparen. Der Aufwand für die Vorschüsse ist beträchtlich und steht in keinem Verhältnis zu dem Ergebnis: Sie müssen angefordert, mitunter angemahnt, von der Gerichtskasse verbucht und in der Gerichtsakte vermerkt werden. Spiegelbildlich entsteht dieser Aufwand auch bei der Anwaltschaft: Die Vorschüsse müssen bei Mandanten angefordert, mitunter angemahnt, verbucht oder an die Gerichtskasse weitergeleitet werden.
Die Anforderungen von Auslagenvorschüssen sollten also nicht die Regel, sondern die Ausnahme sein. Hierdurch könnten der Justiz und der Anwartschaft höchst überflüssige Arbeitsvorgänge erspart werden.
ZAP F., S. 1–1
Rechtsanwalt Hubert W. van Bühren, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Köln