Gelingt es einem Verkehrsteilnehmer nicht, rechtzeitig auf eine wahrgenommene Gefahrenlage zu reagieren, und verhindert er lediglich durch einen vorherigen Sturz (hier: als Motorradfahrer) eine Kollision mit dem vorausfahrenden Kfz, spricht wie im Fall einer „Auffahrkollision” der Beweis des ersten Anscheins für einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Hinterherfahrenden. Wer an einer unübersichtlichen Engstelle vor einer Kurve ein Hindernis (hier: ein haltendes Müllfahrzeug) links umfährt, muss gem. § 6 S. 1 StVO den Gegenverkehr sichern und besonders vorsichtig prüfen, ob ein Vorbeifahren den Gegenverkehr behindern würde (OLG Celle, Urt. v. 13.12.2023 – 14 U 32/23, DAR 2024, 81 = zfs 2024, 73). Kommt es zur Kollision zwischen einem aus einer untergeordneten Straße nach links in eine Bundesstraße einbiegenden Pkw und einem bevorrechtigten Motorrad und hat der Wartepflichtige die Grundgeschwindigkeit auf der Vorfahrtstraße noch nicht erreicht, besteht – auch wenn das Motorrad auf das Heck des eingebogenen Pkw aufgefahren ist – immer noch der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang mit der Vorfahrtverletzung (LG Itzehoe, Urt. v. 6.4.2023 – 10 O 419/2, NZV 2023, 472 [Bachmor]). Auch gegenüber Kindern gilt der Vertrauensgrundsatz. Der Fahrer eines Pkw muss besondere Vorkehrungen für seine Fahrweise gem. § 3 Abs. 2a StVO nur dann treffen, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigt, die zu einer konkreten Gefährdung führen können, und das Kind nach dem äußeren Erscheinungsbild als solches erkennbar war (OLG Celle, Urt. v. 11.10.2023 – 14 U 157/22, DAR 2024, 77 = VRR 3 /2024, 19 [Nugel]).
Ein Zweiradfahrer verstößt nicht gegen das Rechtsfahrgebot, wenn er bei einer Fahrbahnbreite von 6,8 m mit seiner linken Körperseite einen Abstand von mindestens 0,5 m zur Fahrbahnmitte einhält (OLG München, Hinweisbeschl. v. 26.5.2023 – 24 U 587/23 e, NJW 2023, 3173). Wenn ein Radfahrer mehrfach grob gegen die Sorgfaltsanforderungen beim Linksabbiegen verstößt (Unterlassen: doppelte Rückschau, rechtzeitiges Handzeichen und rechtzeitiges Einordnen) und es deshalb zur Kollision mit einem überholenden Kfz kommt, haftet der Radfahrer allein (OLG Schleswig, Beschl. v. 27.4.2023 – 7 U 214/22, NJW-RR 2023, 1334; s. auch LG Hannover, Urt. v. 22.6.2022 – 11 O 48/21, NZV 2024, 95 [Hanke]).
Ein Kraftfahrer, der einen die Fahrbahn aus seiner Sicht von links nach rechts überquerenden, trotz Dunkelheit bereits aus einiger Entfernung erkennbaren Fußgänger vor dem Zusammenstoß nicht bemerkt hat, darf nicht darauf vertrauen, der Fußgänger werde sich bei der Fahrbahnüberquerung verkehrsgerecht verhalten. Die Reaktionsaufforderung trifft den Kraftfahrer bereits in dem Moment, in dem der Fußgänger beginnt, die Fahrbahn zu überqueren, und nicht erst zum Zeitpunkt des Überschreitens des von ihm genutzten Fahrstreifens. Dies gilt insb., wenn der Fußgänger trotz Dunkelheit nicht den nahen ampelgeregelten Fußgängerüberweg benutzt (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.5.2023 – 3 U 4/23, NJW-RR 2023,1140 = NZV 2024, 94 [Bachmor]; allg. zum Fußgängerunfall Kemperdiek, zfs 2023, 544). Bei Businsassen-Unfällen verdrängt grds. das Eigenverschulden des Fahrgastes, der sich nicht ordnungsgemäß festgehalten hat, vollständig die Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr. Jeder Fahrgast ist grds. selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische oder zu erwartende Bewegungen eines Busses nicht zu Fall kommt (OLG Schleswig, Urt. v. 25.4.2023 – 7 U 125/22, NJW 2023, 2886 = zfs 2023, 437 = VRR 2/2024, 14 [Nugel] = NZV 2023, 568 [Bachmor]).