Zusammenfassung
1. Ist ein Hotelbetrieb durch das Verbot einer Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken als Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie daran gehindert, dem Gast den Gebrauch des Hotelzimmers im vereinbarten Leistungszeitraum zu gewähren, ist ihm die geschuldete Leistung i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB (rechtlich) unmöglich.
2. Die Annahme einer Offensichtlichkeit i.S.d. § 323 Abs. 4 BGB erfordert grundsätzlich, dass der künftige Eintritt der Rücktrittsvoraussetzungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (hier: Beschränkung einer touristischen Beherbergung durch einen Hotelbetrieb während der COVID-19-Pandemie).
3. Das der Überlassung eines Hotelzimmers an einen Gast entgegenstehende generelle Beherbergungsverbot für touristische Reisen ist als Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie kein in der Person des Gastes liegender Umstand i.S.v. § 537 Abs. 1 S. 1 BGB.
(Amtliche Leitsätze)
BGH, Urt. v. 6.3.2024 – VIII ZR 363/21 (s. ZAP 2024, 468 [in diesem Heft]); Vorinstanzen: LG Berlin, AG Charlottenburg
I. Einleitung
Die Auswirkungen der behördlichen pandemiebedingten Schließungsanordnungen lassen die Rechtsprechung nicht ruhen. Der Entscheidung des BGH v. 6.3.2024 – VIII ZR 363/21 lag ein Beherbergungsvertrag zu Grunde. Der Kläger buchte am 13.10.2019, also vor dem 1. Lockdown zu touristischen Zwecken Hotelzimmer bei der Beklagten für den Zeitraum 14.–16.5.2020. Am 6.5.2020 erließ die Landesregierung eine erneute Verlängerung des Beherbergungsverbotes bis 25.5.2020. Daraufhin erklärte der Kläger unter ausdrücklicher Berufung auf selbige den Rücktritt und forderte sein vorentrichtetes Beherbergungsentgelt zurück.
II. Entscheidung des BGH v. 6.3.2024
Zur umstrittenen rechtlichen Einordnung pandemiebedingter Schließung bestätigt nun der VII. Senat in Fortführung zu BGH v. 4.5.2022 – XII ZR 64/21 (s. Anm. Golbs, ZAP 2022, 677 ff.) die Anwendung der Unmöglichkeit gem. § 326 Abs. 5 BGB.
1. Rücktritt, § 346 Abs. 1 BGB
Zuerst bejaht das Gericht die Anwendbarkeit des § 346 Abs. 1 BGB. Dem stehen weder die Vereinbarung eines nicht stornierbaren Tarifs noch § 537 Abs. 1 BGB entgegen. Der Stornoausschluss gelte nur bei ungestörter Leistungserbringung, stelle jedoch keine Sonderregelung für die Fälle der Leistungsstörung dar. Der Kunde übernehme gerade nicht das außerhalb seiner Verantwortungssphäre liegende Risiko des Vermieters/Beklagten vor höherer Gewalt.
Ebenso schließen die grundsätzlich in Beherbergungsverhältnissen anwendbaren Vorschriften des Mietrechts den Rücktritt nicht aus. Die Kündigung gilt als zusätzliche Spezialnorm des Mietrechts neben den allgemeinen Regelungen.
§ 537 Abs. 1 BGB behandele lediglich Störungen aus dem Risikobereich des Mieters, die mit der pandemiebedingten Schließung nicht vorliegen.
2. Unmöglichkeit, § 326 Abs. 5 BGB
Das Rücktrittsrecht ergibt sich aus §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB. In Fortführung bisheriger Judiz wird ein Fall der Unmöglichkeit angenommen. In Abgrenzung des dauerhaften vom nur vorübergehenden Leistungshindernis sei auf die Unzumutbarkeit der späteren Leistungserbringung/-forderung für eine der beiden Parteien unter Abwägung beider Interessen zum Zeitpunkt des Hindernisses abzustellen.
Der Kläger buchte die Zimmer für einen konkreten Zeitraum zu touristischen Zwecken. Durch das Beherbergungsverbot kann der Erfolg, anders als beim Verzug, nicht mehr nachgeholt werden. Zweck des Vertrages war ein bestimmter Zeitraum.
Folgerichtig schließt der BGH die Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1 BGB aus. Die Norm ist subsidiär zum Leistungsstörungsrecht. Ihre teils vertretene Anwendung auf Pandemiefälle würde lediglich eine Korrektur der wirtschaftlichen Folgen staatlicher Anordnungen nach sich ziehen, was nicht deren Sinn und Zweck entspricht.
3. Vorzeitiges Rücktrittsrecht, §§ 326 Abs. 5 S. 2, 323 Abs. 4 BGB
Der Rücktritt war vor der beabsichtigten Leistung möglich. § 323 Abs. 4 BGB verlangt insoweit eine Zukunftsprognose zum Zeitpunkt des Zugangs der Rücktrittserklärung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit müsse sich das Rücktrittsrecht für den zukünftigen, bestimmten Zeitpunkt ergeben. Durch die angeordnete Schließung bis 25.5.2020 ergab sich die Unmöglichkeit der Beherbergung vom 14.–16.5.2020.
III. Folgerungen
Mit der Bestätigung des Rücktrittsrechts gem. § 326 Abs. 5 BGB wird auch für den Bereich der einmaligen Schuldverhältnisse die Problematik höherer Gewalt judiziert. Es kommt nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Denn sowohl vor als auch nach den Schließungszeiträumen tritt die rechtliche Unmöglichkeit mit der Folge des Entfalls der beiderseitigen Leistungen ein. Anders werden lediglich Geschäftsraum-Mietverhältnisse behandelt, für die die Anwendbarkeit des § 313 BGB (BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21) in Kenntnis der Schließungsmöglichkeiten maßgeblich ist.
Fraglich ist, inwieweit vertragliche Regelungen in Beherbergungsbetrieben zukünftig angepasst werden können. Grundsätzlich können Fälle höherer Gewalt in Regelungen Einzug finden und den Kunden an dem Risiko beteiligen. Um jedoch der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB standzuhalten, müssten zumutbare Ausgleichsregelungen für die Kunden eingebracht werden. Letz...