Besondere Aufmerksamkeit des Verteidigers ist gefordert, wenn die Einkommensverhältnisse des Angeklagten nicht ausermittelt wurden bzw. nicht konkret feststellbar sind. In diesen Fällen räumt § 40 Abs. 3 StGB dem Gericht die Möglichkeit ein, die Einkünfte des Täters, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes zu schätzen. Eine solche Schätzung kommt vor allem in Betracht, wenn der Angeklagte keine, unzureichende oder unzutreffende Angaben über seine finanziellen Verhältnisse macht und – insbesondere im unteren Kriminalitätsbereich – ins Einzelne gehende Ermittlungen hierzu unverhältnismäßig wären oder in keinem angemessenen Verhältnis zu der zu erwartenden Geldstrafe stünden. In derartigen Fällen ist eine vollständige Ausschöpfung der möglichen Beweismittel nicht erforderlich. Insoweit wird die Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO eingeschränkt. Der Zweifelsgrundsatz gilt für die Schätzung nicht, wohl aber für die einzelnen Grundlagen der Schätzung (vgl. BGH NStZ 1989, 361).
Hinweis:
Trotz der Einschränkung der Aufklärungspflicht darf nicht vorschnell eine Schätzung erfolgen. Die Schätzung ist zwar nicht erst ultima ratio, aber stets subsidiär. Sind die für die Festsetzung der Tagessatzhöhe relevanten Tatsachen ohne Weiteres und ohne unzumutbaren Aufwand zu ermitteln, hat das Gericht diese festzustellen, eine Schätzung scheidet dann aus (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 19). Auch dürfen weitere Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht vorschnell und allein mit dem Ziel der Arbeitsersparnis für unverhältnismäßig erklärt werden.
Der praktische Nutzen des § 40 Abs. 3 StGB für das Gericht darf deshalb nicht überbewertet werden. Zwar können durch eine Schätzung im Einzelfall aufwändige Nachermittlungen und damit einhergehende Verfahrensverzögerungen vermieden werden, andererseits macht eine Schätzung das Urteil häufig fehleranfällig. Es darf nicht nur nicht vorschnell auf eine Schätzung zurückgegriffen werden, sondern es müssen auch die für die Schätzung relevanten Umstände sorgfältig festgestellt werden. § 40 Abs. 3 StGB verschafft dem Gericht, was in der Praxis nicht selten verkannt wird, nämlich keineswegs eine völlige Freiheit, was die Höhe des Tagessatzes betrifft. Vielmehr darf die Schätzung nicht im luftleeren Raum stattfinden (Mosbacher, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 3. Aufl. 2017, § 40 Rn 16). Bloße Mutmaßungen sind unzureichend (KG StV 2005, 89).
Die Grundlagen, auf die sich die Schätzung stützt, müssen festgestellt und erwiesen sein und sind im Urteil überprüfbar mitzuteilen. Andernfalls riskiert das Gericht die Aufhebung des Urteils in der Revision oder gar einen Verstoß gegen das Willkürverbot (BVerfG NStZ-RR 2015,335).
Um dies zu vermeiden, kann auf Nachermittlungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen oftmals trotz der Schätzungsbefugnis nicht verzichtet werden, insbesondere wenn der Angeklagte sich, was sein gutes Recht ist, überhaupt nicht zu seinen persönlichen Verhältnissen einlässt. In Betracht kommen soll etwa die Vernehmung von Zeugen zu der Frage, wie der Angeklagte seinen Lebensunterhalt bestreitet (so OLG Hamm, Beschl. v. 28.4.2016 – 3 RVs 30/16, ZAP EN-Nr. 595/2016). Durchsuchungen, etwa nach Unterlagen, die über die Einkommensverhältnisse Aufschluss geben (Gehaltsabrechnungen und dergleichen) werden hingegen i.d.R. unverhältnismäßig sein.
Praxishinweis:
Erforderlichenfalls energisch entgegentreten muss der Verteidiger den in der Praxis leider hin und wieder anzutreffenden Versuchen, den schweigenden Angeklagten zu Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu bewegen, indem man § 40 Abs. 3 StGB als Druckmittel einsetzt und ankündigt, dass man für den Fall weiteren Schweigens das Nettoeinkommen eben auf den (in aller Regel überhöhten) Betrag X schätzen werde. Eine solche Vorgehensweise ist mit dem Schweigerecht des Angeklagten und dem Fairnessgebot unvereinbar; sie gibt überdies Anlass zu erheblichen Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Gerichts.