Wenn es darum geht, den Arbeitgeber nachweislich auf psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz hinzuweisen, um damit die Abhilfeverpflichtung des Arbeitgebers zu dokumentieren, ist es aus taktischen Gründen durchaus eine Möglichkeit, den Anspruch auf Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz individualrechtlich durchzusetzen. Dass insoweit ein individualrechtlicher Anspruch auf die Gefährdungsbeurteilung nach dem ArbSchG besteht, hat das BAG bestätigt (BAG, Urt. v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06).
Der Arbeitgeber ist gesetzlich und unabdingbar verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung betreffend die psychische Belastung der Arbeitnehmer vorzunehmen. Dies gilt auch für Kleinbetriebe. Hier besteht kein Ausschluss. Die Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung ergibt sich ebenfalls aus § 3 ArbStättV, der in der novellierten Fassung ab 1.12.2016 in Absatz 1 Satz 3 nun ausdrücklich auch die psychische Belastung in die Gefährdungsbeurteilung mit einbezieht. Beurteilen muss der Arbeitgeber jedoch nicht den einzelnen individuell durch einen bestimmten Arbeitnehmer betriebenen Arbeitsplatz, sondern den Arbeitsplatz als Teil einer funktionierenden Betriebsorganisation (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2014, Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, S. 36 ff.). Das kann eine Abteilung, eine Arbeitsgruppe oder eine andere funktionelle Einheit sein.
Tatsächlich gibt es jedoch keine Vorschriften darüber, wie eine Beurteilung der psychischen Belastung als Gesundheitsgefährdung gem. § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG zu erfolgen hat. Auch die immer wieder zitierte DIN EN ISO 10075 (1a) als Quelle für die Definition der psychischen Belastung als "die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken", ist nicht geeignet, um die arbeitgeberseitige Pflicht zu konkretisieren. Im Gegenteil: Nach dieser Definition ist der Bereich, der im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen ist, im Hinblick auf die psychischen Einwirkungen nahezu grenzenlos. Inwieweit die Durchsetzung des Anspruchs also in individualrechtlicher Hinsicht sinnvoll ist, kann unter gründlicher Abwägung nur für den Einzelfall beurteilt werden. Soweit sich der Arbeitgeber schlichtweg überhaupt nicht um Gefährdungen aus Gründen psychischer Fehlbelastung kümmert und auch nach Ansprache keinerlei Interesse hierfür aufbringt, kann hierin eine sinnvolle aufrüttelnde Taktik liegen. Dies auch insbesondere dann, wenn es sich um ein kleineres Unternehmen ohne überwachenden Betriebsrat handelt – was es ja nach wie vor gibt – und nicht nur eine Einzelperson betroffen ist.