Ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG (s. etwa NJW 2009, 495 und NJW 2012, 290) ist es in den letzten Jahren mehrfach zu Änderungen der Rechtsprechung des BAG im Urlaubsrecht gekommen (s. Gundel/Sartorius ZAP F. 17 R S. 670 ff., 700 ff., 724 ff., 772 f., 809 ff., 829 ff.). Durch Urteil vom 29.11.2017 (C-214/16, NJW 2018, 33; hierzu Maurer jurisPR-ArbR 6/2018, Anm. 1) stärkte der EuGH die Position von Arbeitnehmern, denen während des Arbeitsverhältnisses zu Unrecht kein Urlaub bzw. keine Urlaubsvergütung gewährt wird und die nach Ausscheiden aus dem Vertragsverhältnis Vergütung verlangen.
Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren nach § 267 AEUV (s. Sartorius, in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl., § 10) hatte der britische Arbeitgeber den Kläger als freien Mitarbeiter – ohne Vergütungsanspruch für Urlaubszeiten – beschäftigt. Die britischen Arbeitsgerichte stellten jedoch die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers fest. Dieser beanspruchte sodann für den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung (1.6.1999 bis 6.10.2012) Urlaubsvergütung.
Im Hinblick auf die gestellten Vorlagefragen führte der EuGH zunächst aus, dass sich der Anspruch auf vier Wochen bezahlten Jahresurlaubs klar aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 ergebe und im Übrigen aus Art. 31 Abs. 2 Grundrechte-Charta. Die Mitgliedstaaten sind zwar befugt, die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen, dürfen dabei aber nicht bereits die Entstehung dieses Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen. Nationale Bestimmungen, die, wie vorliegend, den Arbeitnehmer nötigen, zunächst unbezahlten Urlaub zu nehmen und sodann die Urlaubsvergütung einzuklagen, verstießen gegen das Gebot, den Urlaub bedingungslos zu gewähren. Außerdem müsse aufgrund von Art. 47 Grundrechte Charta das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet werden.
Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit alle Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von 4 Wochen erhalten. Im Interesse des Arbeitgebers können einzelstaatliche Rechtsvorschriften zwar bei Vorliegen besonderer Umstände eine Beschränkung des Übertragungszeitraums auf 15 Monate vorsehen – so in Fällen, in denen Arbeitgeber mit langen krankheitsbedingten Abwesenheitszeiten der Arbeitnehmer konfrontiert sind (EuGH NJW 2012, 290). Im Ausgangsfall sei ein Schutz des Arbeitgebers jedoch nicht zwingend notwendig. Dieser müsse eine richtige rechtliche Einordnung vornehmen, ob die für sie Tätigen arbeitsrechtlich einen Urlaubsanspruch haben, und er trägt das Risiko einer Fehleinschätzung.
Die zeitliche Grenze für die Übertragung wird das Ende des Arbeitsverhältnisses darstellen. In diesem Zeitpunkt wandelt sich dann der Urlaub auf bezahlten Urlaub in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um. Dieser wird begrenzt durch nationale gesetzliche, Arbeits- und tarifvertragliche Ausschluss- und Verjährungsfristen.
Praxishinweise:
- Die Entscheidung vergrößert das Risiko, das sich für Arbeitgeber bei der Fehleinschätzung des Status ihrer Mitarbeiter ergibt (eine Zusammenstellung solcher Risiken findet sich etwa bei Rittweger/Zieglmeier AnwBl 2015, 660 und Rittweger ASR 2016, 22).
- Die Entscheidung ist aber nicht auf Statusstreitigkeiten beschränkt: Weil der EuGH die Entscheidung auf den Grundsatz des "bezahlten Urlaubs" stützt und die "Urlaubsfreude" nur bei – vollständiger – Bezahlung eintritt, sind die Grundsätze wohl auch in allen Fällen sonstiger Nichtzahlung oder unvollständiger Zahlung des Urlaubsentgeltes anzuwenden.
- Hinsichtlich der europarechtlichen Zulässigkeit des Urlaubsverfalls siehe auch den Vorlagebeschluss des BAG vom 13.12.2016 (9 AZR 541/15 (A), NZA 2017, 271). Die dort gestellte Frage zu "1." dürfte der EuGH in o.a. Entscheidung beantwortet haben.