Nach § 3 Abs. 3 S. 2–4 Europaabgeordnetengesetz (EuAbgG) besteht kein nachwirkender Kündigungsschutz für Wahlbewerber, die kein Mandat im Europäischen Parlament erlangt haben (vgl. BAG, Urt. v. 18.5.2017 – 2 AZR 79/16, NZA 2017, 1250).
Die Parteien streiten vorrangig über die Anwendung des Kündigungsschutzes auf Wahlbewerber für die Europawahl. Der Kläger war bei der Beklagten seit November 2012 als Handwerker beschäftigt. Er kandidierte für die Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2014 auf der Liste der ÖDP auf Platz 67. Am 20.6.2014 stellte der Bundeswahlausschuss das endgültige Ergebnis der Europawahl für die Bundesrepublik Deutschland fest. Der Kläger erhielt kein Mandat. Mit Schreiben vom 10.7.2014 – dem Kläger am gleichen Tag zugegangen – kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 15.8.2014. Dagegen hat sich der Kläger rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt und geltend gemacht, die Kündigung verstoße gegen den Kündigungsschutz als Wahlbewerber nach dem EuAbgG. Zudem sei sie sozial ungerechtfertigt.
Der Zweite Senat hat entschieden, die Kündigung sei nicht wegen Verstoßes gegen § 3 EuAbgG gem. § 134 BGB nichtig. Nach § 3 Abs. 3 S. 1 EuAbgG ist eine Kündigung oder Entlassung wegen des Erwerbs, der Annahme oder Ausübung des Mandats unzulässig. "Im Übrigen" ist sie nur aus wichtigem Grund zulässig (§ 3 Abs. 3 S. 2 EuAbgG). Der Kündigungsschutz beginnt mit der Aufstellung des Bewerbers durch das dafür zuständige Organ des Wahlvorschlagsberechtigten. Er gilt ein Jahr nach Beendigung des Mandats fort (§ 3 Abs. 3 S. 3,4 EuAbgG).
Im konkreten Fall verstößt die Kündigung nicht gegen § 3 Abs. 3 S. 1 EuAbgG. Sie setzt, soweit sie nach § 3 Abs. 3 S. 3 EuAbgG Wahlbewerber einschließt, voraus, dass die Kündigung auf Gründen beruht, die im Zusammenhang mit der Kandidatur stehen. An einem derartigen Zusammenhang fehlt es. Der Behauptung der Beklagten, sie habe erst nach Zugang der Kündigung von der Bewerbung Kenntnis erlangt, ist der Kläger, den für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des Unwirksamkeitsgrundes die primäre Darlegungs- und Beweislast triff, nicht entgegengetreten.
Die Kündigung ist auch nicht i.S.v. § 3 Abs. 3 S. 2–4 EuAbgG unzulässig. Zwar bedarf es keiner mit der Kandidatur zusammenhängender Umstände, doch bestanden die Kündigungsbeschränkungen für Wahlbewerber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 10.7.2014 nicht mehr. Mit der abschließenden Feststellung des Ergebnisses für das Wahlgebiet durch den Bundeswahlausschuss (§ 18 Abs. 4 EuWG) in seiner Sitzung am 20.6.2014 stand verbindlich fest, dass die Kandidatur des Klägers erfolglos geblieben war. Mit Ablauf dieses Tages endete ein ihm aufgrund seiner Wahlbewerbung nach § 3 Abs. 3 S. 2, 3 EuAbgG zustehender Kündigungsschutz.
Ein nachwirkender Schutz nach § 3 Abs. 3 S. 4 EuAbgG gilt nur für Arbeitnehmer, die ein Mandat im Europäischen Parlament erlangt haben. Das folgt aus dem Wortlaut, dem Regelungszusammenhang, der Entstehungsgeschichte und dem Normzweck. Für eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 S. 4 EuAbgG auf erfolglos gebliebene Mandatsbewerbungen ist kein Raum. Es fehlt an Anhaltspunkten für eine unbewusste Regelungslücke und an einer Vergleichbarkeit der Interessenlagen als Voraussetzungen einer den Wortsinn überschreitenden Gesetzesanwendung.
Hinweise:
1. |
§ 3 Abs. 3 S. 4 EuAbgG schließt die ordentliche Kündigung aus. Der Sonderkündigungsschutz des § 3 Abs. 3 S. 4 EuAgbG endet mit der Feststellung des Wahlergebnisses. Ein nachwirkender Schutz für Wahlbewerber besteht nicht. |
2. |
Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung, weil sowohl § 2 Abs. 3 AbgG (Bund) als auch Landesrecht, beispielsweise § 2 Abs. 3 AbgG Baden-Württemberg (v. 12.9.1078), wortgleiche Regelungen enthalten: "(3) Eine Kündigung oder Entlassung wegen des Erwerbs, der Annahme oder Ausübung des Mandats ist unzulässig. Eine Kündigung ist im Übrigen nur aus wichtigem Grunde zulässig. Der Kündigungsschutz beginnt mit der Aufstellung des Bewerbers durch das dafür zuständige Organ der Partei oder mit der Einreichung des Wahlvorschlags. Er gilt ein Jahr nach Beendigung des Mandats fort." Dort besteht Sonderkündigungsschutz (nur außerordentliche Kündigung) und nachwirkender Kündigungsschutz, aber kein Schutz erfolgloser Wahlbewerber. |