Die Corona-Krise zeigt, dass in der heutigen Zeit unvorhergesehene Entwicklungen das alltägliche Leben beeinflussen können. Diese Erkenntnis wird und muss Auswirkungen auf die anwaltliche Beratungspraxis und die zukünftige Gestaltung von Verträgen haben.
Eine gute und vorausschauende Vertragsgestaltung ist essenziell. Aufgabe des Anwalts ist es in erster Linie, die Interessen seines Mandanten zu wahren und durchzusetzen und folglich etwaige Risiken durch eine vorausschauende Gestaltung zu minimieren (Lutz/Aderhold/Koch, Vertragsgestaltung, 3. Aufl. 2018, § 3 Rn 2). Der bloße Verweis auf die gesetzlichen Regelungen ist hierfür meist nicht ausreichend, da diese häufig entweder den Interessen der Vertragsparteien nicht entsprechen oder zu wenig Rechtssicherheit bieten. Gerade die Regelungen der §§ 275, 313 BGB zeigen in Zeiten von COVID-19, dass man sich über die genaue Auslegung und Anwendung streiten kann und es letztlich auf eine Abwägung im Einzelfall hinauslaufen wird (vgl. oben unter II 1). Nur eine individuelle Vertragsgestaltung kann – nicht zuletzt für beide Seiten – zu maßgeschneiderten Lösungen führen.
Wer bislang keine Regelung zu "höherer Gewalt" in seine Verträge aufgenommen hat, sollte dies fortan tun. Hierfür bieten sich unterschiedliche Optionen an, insb. die hier besprochenen Force-Majeure-Klauseln, aber auch Hardship- und MAC-Klauseln. Sofern man sich (klassischerweise) für Force-Majeure-Klauseln entscheidet, sollte der Begriff der "höheren Gewalt" in jedem Fall definiert und mit beispielhaften Aufzählungen (insb. Epidemien und Pandemien) konkretisiert werden. Zusätzlich empfiehlt es sich, in die Klausel mit aufzunehmen, dass vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands immer dann ausgegangen werden kann, wenn der jeweilige Zustand von einer bestimmten Institution (z.B. WHO im Falle einer Epidemie/Pandemie) offiziell als "außergewöhnlich" eingestuft wurde.
Hinweis:
Die Internationale Handelskammer ICC hat auf ihrer Homepage im März 2020 neue Muster-Klauseln veröffentlicht, u.a. unterschiedliche Typen von Force-Majeure-Klauseln und eine Hardship-Klausel. Diese können ggf. zur Orientierung bei der Überarbeitung von bislang verwendeten Verträgen dienen.
Neben der in Zukunft standardmäßig gebotenen Aufnahme von Force-Majeure-Klauseln sind v.a. bei Lieferverträgen alternative Optionen in den Blick zu nehmen: So kann es sinnvoll sein, sowohl in Verträgen als auch in AGB – freilich innerhalb der zulässigen Grenzen (§§ 307 ff. BGB) – sog. Selbstbelieferungsklauseln aufzunehmen. Diese zielen bekanntermaßen darauf ab, dass dem Verwender (= Verkäufer) das Beschaffungsrisiko abgenommen wird, indem er von seiner Leistungspflicht befreit wird und/oder vom Vertrag zurücktreten kann, wenn er selbst nicht oder nicht rechtzeitig von seinem Lieferanten beliefert wird.
Hinweis:
Die AGB-rechtliche Zulässigkeit solcher Klauseln hängt von der genauen inhaltlichen Ausgestaltung an. Die Rechtsprechung billigt Selbstbelieferungsklauseln im unternehmerischen Rechtsverkehr jedenfalls dann, wenn der Verkäufer trotz zumutbarer Anstrengungen die Ware nicht besorgen kann, er mit seinem Lieferanten ein kongruentes Deckungsgeschäft geschlossen hat und von diesem "im Stich gelassen wurde" (s. zum Ganzen insb. Schwab, AGB-Recht, 3. Aufl. 2019, S. 279 ff.).
Schlussendlich finden sich in Verträgen und AGB häufig Regelungen zum Umgang mit einem etwaigen Lieferverzug. Dies kann auf unterschiedliche Arten und Weisen geschehen, wobei häufig mit Vertragsstrafen oder pauschalierten Schadenersatzansprüchen gearbeitet wird. Hier sind – gerade bei Vertretung des Käufers – in Zukunft noch genauer die Vorgaben der Rechtsprechung an entsprechende AGB-Klauseln einzuhalten, um den Mandanten ausreichend abzusichern. Im Falle einer Beratung des Verkäufers sollte dagegen darauf hingewirkt werden, nicht vorschnell etwaige (Leistungs-)Garantien abzugeben oder unüberlegt (insb. ohne entsprechende Absicherung) Beschaffungsrisiken zu übernehmen.