Das BAG (Beschl. v. 7.8.2019 – 5 AZB 16/19, NZA 2019, 1237) hat erstmalig zu den Überwachungspflichten eines Rechtsanwalts entschieden.
Das ArbG hat mit Urt. v. 19.11.2018 der Klage eines Arbeitnehmers auf Überstunden u.a. stattgegeben. Das Urteil wurde der Beklagten, die erstinstanzlich anwaltlich nicht vertreten war, am 5.12.2018 zugestellt. Am 8.1.2019 ging im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (im Folgenden: EGVP) des LAG Hamm eine aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) übermittelte Berufungsschrift ein. Das LAG erteilte am 22.1.2019 dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Hinweis auf die verspätete Berufungseinlegung. Dieser teilte mit Schriftsatz vom 26.1.2019 mit, die Berufungsschrift sei per beA am 28.12.2018 an das LAG übermittelt worden. Hierzu legte er eine Übermittlungsdatei vor, wonach die Berufungsschrift am angegebenen Datum um 10.34 Uhr gesendet wurde. Die weiteren in der Übermittlungsdatei enthaltenen Rubriken "Empfangen" und "Zugegangen" enthalten keine Einträge. Zugleich beantragte die Beklagte für den Fall des nicht fristgerechten Zugangs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die mit einem am 19.2.2019 beim LAG eingegangenen Schriftsatz vom 14.2.2019 begründet wurde. Unter Vorlage einer Versicherung an Eidesstatt führte die Beklagte aus, mit Einführung des beA-Systems seien folgende Arbeitsanweisungen an die Mitarbeiter der Kanzlei erteilt worden:
Zitat
- „Bei Versendung per beA ist durch die Mitarbeiterin zunächst zu prüfen, dass das entscheidende Dokument die Signatur enthält,
- sodann sind die Anlagen entsprechend auf Vollständigkeit und Inhalt zu prüfen,
- Versendung der beA-Nachricht mit den entsprechenden Anhängen an das Gericht,
- nach Versendung der beA-Nachricht wird die Nachricht selber und die Übermittlungsdatei automatisch zur Akte gespeichert,
- zur Prüfung des Empfangs ist die Nachricht aus dem ‘Gesendet‘-Ordner aufzurufen und im Nachrichtenjournal die erfolgreiche Übermittlung zu prüfen und per Mausklick ebenfalls zur Akte zu speichern.”
Diese Arbeitsanweisungen seien von der langjährig beschäftigten und zuverlässigen Mitarbeiterin F offenbar nicht vollständig ausgeführt worden. Eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs des elektronischen Dokuments gem. § 46c Abs. 5 S. 2 ArbGG habe sie nicht erhalten. Die gesonderte Empfangsprüfung sei unterlassen worden, sodass die fehlerhafte Sendung nicht aufgefallen sei. Der nicht fristgerechte Eingang der Berufungsschrift beruhe auf einer fahrlässigen Unachtsamkeit der im Übrigen zuverlässigen und auch in das beA-System eingeführten Mitarbeiterin.
Mit Beschl. v. 2.4.2019 verwarf das LAG die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom LAG zugelassenen Revisionsbeschwerde erfolglos. Die zulässige (§ 77 S. 1 und S. 4 ArbGG i.V.m. § 575 ZPO) Revisionsbeschwerde ist unbegründet. Das LAG hat die Berufung der Beklagten zu Recht als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die Frist zur Einlegung der Berufung (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) versäumt. Sie hätte gem. § 64 Abs. 1, § 66 Abs. 1 S. 1 und S. 2 ArbGG i.V.m. § 193 BGB gegen das ihr am 5.12.2018 zugestellte Urteil des ArbG innerhalb eines Monats – also bis zum Ablauf des 7.1.2019 (Montag) – Berufung beim LAG einlegen müssen. Die Berufungsschrift vom 28.12.2018 ist jedoch erst am 8.1.2019 (Dienstag) beim LAG eingegangen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist hat das LAG der Beklagten zu Recht versagt, § 233 i.V.m.. § 85 Abs. 2 ZPO. Sie scheitert aus zwei Gründen: (1) Sie ist unzulässig, weil die Wiedereinsetzungsfrist, die gem. § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO im Falle der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zwei Wochen beträgt, nicht gewahrt wurde. (2) Sie wäre auch unbegründet, weil die Beklagte nicht glaubhaft gemacht hat, sie sei ohne ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der fristgemäßen Einreichung der Berufung verhindert gewesen. Zwar lag ein Fehlverhalten des Büropersonals des Prozessbevollmächtigten vor, doch liegt der Partei zuzurechnendes Verschulden darin, dass der Prozessbevollmächtigte seine Kanzlei nicht ordnungsgemäß organisiert hat.
- Die nicht fristgemäße Begründung ergibt sich aus dem Hinweis des LAG vom 22.1.2019. Die Begründung der Wiedereinsetzung ging erst am 19.2.2019 und damit später als zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses ein.
Der Sorgfaltsmaßstab bei herkömmlichem Fristenkalender und Telefaxnutzung ist der Vergleichsmaßstab: Ausgangspunkt ist eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle, wozu die Anordnung des Rechtsanwalts gehört, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen:
(1) am Abend eines jeden Arbeitstags durch eine dazu beauftragte Bürokraft,
(2) anhand des Fristenkalenders nochmals selbstständig überprüft wird,
(3) diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels A...