Ausgangspunkt ist, dass bei einer Betriebsstillegung Betriebsratsmitglieder nach § 15 Abs. 4 KSchG keinem Sonderkündigungsschutz unterliegen, sondern ordentlich gekündigt werden können. Das BAG (Urt. v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, BB 2019, 2483 (Leitsatz), Volltext nur juris oder www.bundesarbeitsgericht.de) hat nun erstmalig zum kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriff entschieden, wenn ein durch Tarifvertrag begründeter Betriebsrat i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG vorlag.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte und weitere Gesellschaften des N-Konzerns vereinbarten mit der IG Metall im März 2016 einen "Strukturtarifvertrag ... nach § 3 BetrVG" (im Folgenden StrukturTV), der die Betriebsstätten der Unternehmen in H, B und L zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit zusammenfasste, für die ein Betriebsrat gewählt werden sollte. Der Kläger war der Betriebsstätte der Beklagten in B zugeordnet, aus der die Beklagte zum 1.5.2016 den Bereich Kundendienst/Customer ausgliederte und auf eine andere Gesellschaft übertrug. Der Kläger war nach den bindenden Feststellungen des LAG Ersatzmitglied eines in einem "Gemeinschaftsbetrieb" gewählten Betriebsrats und nahm im April 2017 als Nachrücker an einer "Betriebsratssitzung des Gesamtbetriebsrats" teil. Ab dem 7.6.2017 war die Betriebsstätte der Beklagten in B geschlossen.
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien nach Anhörung "des Betriebsrats" mit Schreiben vom 28.11.2017 ordentlich zum 30.6.2018. Dagegen berief sich der Kläger mit der Kündigungsschutzklage auf den Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG. Die Beklagte hielt die ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 4 KSchG für zulässig und gem. § 1 Abs. 2 KSchG auch sozial gerechtfertigt. Sie habe ihren einzigen Betrieb in B zum 31.5.2017 stillgelegt. Es habe keine Möglichkeit bestanden, den Kläger an einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen weiter zu beschäftigen. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden.
Vor dem ArbG und dem LAG hatte die Klage Erfolg. Der Zweite Senat hob die Entscheidung auf. Das Arbeitsverhältnis eines Mitglieds einer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG gebildeten Arbeitnehmervertretung gem. § 15 Abs. 4 KSchG kann ordentlich gekündigt werden, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen:
- (1) Das Betriebsratsmitglied ist in einem Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG beschäftigt und
- (2) dieser Betrieb wird stillgelegt.
Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer nach § 15 Abs. 1 bis Abs. 3a KSchG geschützten Person ist gem. § 15 Abs. 4 KSchG ohne besondere Voraussetzungen zulässig, wenn der Betrieb stillgelegt wird.
§ 15 KSchG enthält ebenso wie das gesamte Kündigungsschutzgesetz keine eigene Definition des Betriebsbegriffs. Es gilt daher der allgemeine Betriebsbegriff, der im Wesentlichen demjenigen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG entspricht. Danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern unter Einsatz von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt. Eine aufgrund einer tariflichen Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG errichtete betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit stellt für sich genommen ohne entsprechende Organisationsstruktur keinen Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG dar. Die Beteiligten schaffen mit einer Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG gerade eine von den tatsächlichen betrieblichen Strukturen abweichende betriebsverfassungsrechtliche Ordnung und lösen den Betriebsrat vom "Betrieb als ausschließliche Organisationsbasis" ab (BT-Drucks 14/5741, S. 33). Für das Kündigungsschutzrecht gilt jedoch allein der tatsächliche Betriebsbegriff, der an die real existierende betriebliche Struktur anknüpft.
Bei der durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung gewillkürten Einheit handelt es sich lediglich um die nach § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG ausdrücklich auf das Betriebsverfassungsgesetz begrenzte Fiktion eines Betriebs. Diese betriebsverfassungsrechtliche Fiktion ist für das Kündigungsschutzgesetz ohne Bedeutung. Das gilt – so der Zweite Senat – auch für § 15 KSchG, weil durch die am kündigungsrechtlichen Betriebsbegriff orientierte Auslegung der Zweck von § 15 KSchG nicht beeinträchtigt wird. Der Zweck wird gewahrt, weil die Auslegung anhand des tatsächlichen Betriebs die Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl erhält und dazu führt, dass eine den Beschäftigungsbetrieb übersteigende "Verdrängung" von Arbeitnehmern in den Ausnahmefällen des § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG nicht stattfindet. Dies gilt gleichermaßen, wenn mehrere Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG führen. Auch dann bilden ausschließlich Arbeitnehmer ein und desselben Betriebs eine "Risikogemeinschaft".