Das LG München I (Urt. v. 12.5.2021 – 37 O 32/21) hatte sich mit der Sperrung eines Amazon-Verkäufer-Accounts durch den Betreiber des Portals beschäftigt. Zunächst hatte das Gericht in dem vorangegangenen Beschl. v. 14.1.2021 der Betreiberin des Portals Amazon.de untersagt, das in dem Beschluss bezeichnete Amazon-Verkäuferkonto der Antragstellerin zu deaktivieren, diesbezüglich Angebote von der Amazon.de-Website zu entfernen, Guthaben auf dem Verkäuferkonto einzubehalten oder diese Handlung durch Dritte vornehmen zu lassen. Auf Widerspruch der Antragsgegnerin hob das LG München I in seinem vorgenannten Urteil diesen Beschluss auf und wies den Antrag zurück. Das LG München I war der Ansicht, dass die damalige Verfügungsklägerin zwar eine marktbeherrschende Stellung der damaligen Verfügungsbeklagten hinreichend glaubhaft gemacht habe. Es liege jedoch kein Marktmissbrauch seitens der damaligen Verfügungsbeklagten auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt für die Erbringung von Dienstleistungen von Online-Marktplätzen gegenüber Online-Händlern in Deutschland vor. In diesem Zusammenhang hatte das Gericht die Ansicht vertreten, dass die Vorgaben der Verordnung (EU) 2019/1150 (P2B-Verordnung) bei der Interessenabwägung nach § 19 Abs. 1 GWG zu berücksichtigen seien.
Das LG Hannover hat sich in einem Beschl. v. 22.7.2021 – 25 O 221/21 – an diesen Vorgaben des LG München I orientiert. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die betroffene Portalbetreiberin ein Händlerkonto mit der pauschalen Angabe, es seien seitens des Händlers Verstöße gegen seine Nutzungsbedingungen erfolgt, gesperrt. Ferner hatte die Portalbetreiberin angekündigt, ggf. nach Ablauf von 30 Tagen den Lagerbestand des Händlers in den Logistikzentren zu entsorgen, sofern kein Remissionsauftrag gestellt werde. Der Händler hatte hiernach im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Anspruch auf Rückgängigmachung der Deaktivierung seines Verkäuferkontos sowie auf Untersagung der Entsorgung seiner in den Logistikzentren der Portalbetreiberin gelagerten Waren geltend gemacht.
Das LG Hannover sah beide Ansprüche als begründet an. Es entschied daher wie folgt:
Zitat
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, das bei ihr geführte (...)-Konto der Antragstellerin "(...)", Verkäufer – ID (...)- zu entsperren und ihr die Nutzung des Kontos wieder zu ermöglichen, bis über die Rechtmäßigkeit der Sperrung des Kontos rechtskräftig entschieden oder eine vergleichbare abschließende Regelung getroffen wurde.
Der Antragsgegnerin wird untersagt, die in ihren Logistikzentren eingelagerten Waren der Antragstellerin zu vernichten bevor eine rechtskräftige oder anderweitig verbindliche Regelung über die Sperrung des o.g. Kontos erfolgt ist.
Der Anspruch auf Rückgängigmachung der Deaktivierung des Verkäuferkontos ergebe sich aus § 33 Abs. 1 Alt. 2, 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, § 3, 3a UWG i.V.m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertriebsvertrag. Insoweit beruft sich das LG Hannover auf die Entscheidung des LG München I. Das LG Hannover war der Ansicht, dass der Antragsteller glaubhaft gemacht habe, dass die Antragsgegnerin den – in Art. 4 der Verordnung (EU) 2019/1051 geregelten – Anforderungen an eine Einschränkung, Aussetzung oder Beendigung einer Geschäftsbeziehung nicht genüge getan habe. Die Antragsgegnerin habe ihre Verpflichtung zur Begründung der Sperrung des Händlerkontos durch die lediglich pauschale Angabe, dass Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen erfolgt seien, nicht erfüllt (anders war dies nach Ansicht des LG München I in dem von diesem entschiedenen Sachverhalt gewesen).
Nach Ansicht des LG Hannover bestand zudem der Anspruch auf Untersagung der Entsorgung der in den Logistikzentren gelagerten Waren. Der Antragsteller habe glaubhaft gemacht, dass er nicht zur Stellung eines Remissionsauftrages in der Lage sei. Er habe keinen Zugriff zu dem Verkäuferkonto, in dem der Remissionsauftrag gestellt werden müsse, weil dieses derzeit noch gesperrt sei und er auf seinen per E-Mail gestellten Antrag keine Reaktion erhalten habe. Daher drohe ihm eine kurzfristige Vernichtung der Ware. Aufgrund dessen werde er durch den zuvor genannten Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWG zugleich daran gehindert, seine Ware zurückzufordern.
Nach Angaben in der Berichterstattung von lto.de hat der Portalbetreiber gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde beim BVerfG eingelegt (1 BvR 2000/21). Das Unternehmen argumentiert hiernach mit einem Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Das LG Hannover habe den Beschluss ohne ihre vorhergehende Anhörung erlassen (vgl. zum Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung des Gegners: BVerfG, Beschl. v. 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19).
Nach der Berichterstattung von lto.de. hat sich zuletzt auch das LG Frankfurt a.M. mit der Fragestellung beschäftigt, ob Amazon-Konten betroffener Händler entsperrt werden müssen. Die betroffenen Händler waren hiern...