Der BGH hat sich mit Ansprüchen zu beschäftigen gehabt, die gegen die Anbieterin eines sozialen Netzwerkes geltend gemacht wurden, nachdem diese Beiträge von Nutzern unter dem Vorwurf der "Hassrede" gelöscht und deren Konten gesperrt hatte. Der BGH hat diese Verfahren mit zwei Urteilen vom 29.7.2021 (III ZR 179/20, ZAP EN-Nr. 534/2021 und III ZR 192/20) entschieden.
Den Entscheidungen lagen folgende Sachverhalte zugrunde: Die Kläger unterhielten jeweils ein Nutzerkonto für ein von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebenes weltweites soziales Netzwerk (Facebook), dessen Anbieterin und Vertragspartnerin für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist. Nach den Nutzungsbedingungen des Netzwerkes in der seit dem 19.4.2018 geltenden Fassung darf nicht gegen die "Gemeinschaftsstandards" verstoßen werden. Diese verbieten eine – darin näher definierte – "Hassrede". In diesen Nutzungsbedingungen war keine Verpflichtung der Anbieterin enthalten, einen Nutzer über die Entfernung seines Beitrages zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen.
In dem Verfahren III ZR 179/20 hatte die dortige Klägerin zuvor einen Beitrag in dem Netzwerk eingestellt. In dem Verfahren III ZR 192/20 hatte der dortige Kläger zuvor den Beitrag eines Dritten kommentiert. Beide Beiträge hatte die Beklagte im August 2018 gelöscht, da diese nach ihren Angaben gegen das Verbot der "Hassrede" verstießen. Sie sperrte vorübergehend die Nutzerkonten der beiden Nutzer, sodass diese in dieser Zeit nichts posten, nichts kommentieren und auch die Messangerfunktion nicht nutzen konnten. Die Kläger nahmen daraufhin die Beklagte (soweit für die Revisionsverfahren noch von Bedeutung) auf Freischaltung der von ihnen im Netzwerk veröffentlichten und von der Beklagten gelöschten Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Sperrung ihrer Nutzerkonten und Löschung ihrer Beiträge sowie auf Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperrung beauftragtes Unternehmen in Anspruch. Sie waren insofern der Ansicht, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, ihre Beiträge zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren.
Im Verfahren III ZR 179/20 (eigener Beitrag) hat das Landgericht die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hatte die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
In dem Verfahren III ZR 192/20 (Kommentierung eines Drittbeitrags) hat das Landgericht die Beklagte dazu verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen seines Textes (...) unter bestimmten Voraussetzungen erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Im Revisionsverfahren haben die Kläger ihre Anträge weiterverfolgt.
Der BGH hat die Beklagte im Verfahren III ZR 192/20 (Kommentierung eines Drittbeitrages) verurteilt, die von ihr gelöschten Beiträge des Klägers wieder freizuschalten. Im Verfahren III ZR 179/20 (eigener Beitrag) hat der BGH die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin für das Einstellen ihres Beitrages erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen.
Der BGH vertrat die Ansicht, dass die Beklagte aufgrund ihrer Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards nicht zur Löschung der Beiträge der Kläger und Sperrung ihrer Nutzerkonten berechtigt gewesen sei. Diese Bedingungen unterlägen der AGB-Kontrolle nach § 307 ff. BGB. Die in den Nutzungsbedingungen der Beklagten eingeräumten Vorbehalte betreffend Entfernung von Nutzerbeiträgen und die Sperrung von Nutzerkonten seien gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, weil dadurch die Nutzer des Netzwerks entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt würden. Ob eine Klausel unangemessen i.S.d. Norm sei, müsse auf Basis einer umfassenden Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen beurteilt werden. Hierbei seien die kollidierenden Grundrechte der Parteien (einerseits die Meinungsäußerungsfreiheit der Nutzer und andererseits die Berufsausübungsfreiheit der Netzwerk-Betreiberin) nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in einen Ausgleich zu bringen. Ein Netzwerk dürfe sich hiernach das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen seine Kommunikationsstandards Beiträge zu entfernen und das betreffende Nutzerkonto zu sperren. Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechte sei es jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen verpflichte, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrages zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließe. Diesen Anforderungen würden die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den Nutzungsbedingungen der Beklagten jedoch nicht gerecht. Diese Klauseln seien daher unwirksam....