Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist grds. eine Anhörung zum Verfügungsantrag erforderlich. Die Anhörung muss sich aber in formeller Hinsicht nicht an den starren Anforderungen des Hauptsacheverfahrens orientieren, sondern kann – entsprechend dem Effizienzgebot – auf unkomplizierte Weise, insb. auf schnellen Kommunikationswegen erfolgen. Das BVerfG erachtet eine Anhörung per E-Mail oder Telefon ausdrücklich für zulässig und hält auch sehr kurze Antwortfristen für grds. unbedenklich (BVerfG, Beschl. v. 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, Rn 35).
Praxistipp:
Gerade bei Auslandssachverhalten ist es dem Antragsteller zu empfehlen, das Gericht ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Anhörung per E-Mail hinzuweisen und ihm – z.B. im Rubrum der Antragsschrift – zusätzliche Kommunikationsdaten der Gegenseite zur Verfügung zu stellen. Durch eine solche Anhörung per E-Mail können erhebliche Verfahrensverzögerungen vermieden werden, die sich bei einer formellen Zustellung des Verfügungsantrags ergeben würden.
Ebenso ist es dem Antragsgegner zu empfehlen, bereits in der Antwort auf die Abmahnung (die dem Gericht vom Antragsteller vorgelegt werden muss) und ggf. in der Schutzschrift eine E-Mail-Adresse zu nennen und die Bereitschaft zur Anhörung per E-Mail zu erklären.
Wo es um die zukünftige Unterlassung einer bereits vollzogenen Handlung (z.B. um eine bereits veröffentlichte Äußerung) geht oder wo die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs bereits durch eine Abmahnung angekündigt wurde, ist eine Überraschung bzw. Überrumpelung des Antragsgegners nicht mehr denkbar. Deshalb besteht in diesen "normalen" Konstellationen regelmäßig kein Grund, von einer Anhörung und Äußerungsmöglichkeit eines Antragsgegners vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung abzusehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17, Rn 18).
Von einer Anhörung absehen darf das Gericht nach Rechtsprechung des BVerfG nur dann, wenn
- dem Antragsgegner mit der Abmahnung eine ausreichende Zeit zur Äußerung gewährt wird und zwischen dem Ablauf der Antwortfrist für die begehrte Unterlassungserklärung und der Einreichung des Verfügungsantrags nicht mehr als eine angemessene Frist verstrichen ist (BVerfG, Beschl. v. 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17, Rn 23);
- die Äußerungen des Antragsgegners im Abmahnverfahren dem Gericht vollständig vorgelegt werden (BVerfG, Beschl. v. 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17, Rn 22) und
- die im Abmahnverfahren geführte Korrespondenz einschließlich der Anträge und die Antragsschrift (einschließlich der Sachanträge im Verhältnis zu den außergerichtlich formulierten Begehren bzw. Vorschlägen für die Unterwerfungserklärung) deckungsgleich sind, was nach der Präzisierung des BVerfG nur dann gegeben ist, wenn beide Schreiben wortlautidentisch sind. Im Zweifel ist der Antragsgegnerseite auch bei kleinsten Abweichungen rechtliches Gehör zu gewähren (BVerfG, Beschl. v. 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20, Rn 13 f.).
Hinweis:
Kritisch ist v.a. das dritte Kriterium, da Verfügungsanträge regelmäßig deutlich von der Abmahnung abweichen, sodass die erforderliche Identität im Wortlaut nicht gegeben ist. In der Prozesspraxis der Verfasser hat sich folgende Vorgehensweise bewährt:
- Die Abmahnung wird wie ein Verfügungsantrag formuliert; ggf. werden in ihr bereits neutrale Personenbezeichnungen verwendet. Auch werden der Abmahnung alle Glaubhaftmachungsmittel – z.B. Screenshots, eidesstattliche Versicherungen – beigefügt.
- Diskussionswürdige Punkte können in der vorgelagerten Korrespondenz erörtert werden, die – soweit nötig – um weitere Glaubhaftmachungsmittel ergänzt wird und später dem Gericht vorgelegt werden muss. Eine telefonische Erörterung sollte hingegen vermieden werden, da sich hier Dokumentationsprobleme ergeben, die nicht nur die Gewähr rechtlichen Gehörs unklar erscheinen lässt, sondern gerade im Wettbewerbsprozess zum Vorwurf des Rechtsmissbrauchs führen kann (allgemein zum Verschweigen von Erwiderungen vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2021 – 29 U 6406/20, WRP 2021, 1495, Du sollst nicht verschweigen Deines Gegners Schriftsatz; zur Problematik des telefonischen Kontakts vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 22.2.2019 – 1 W 9/19).
- Der Verfügungsantrag verzichtet auf eine eigene Begründung, sondern nimmt die Formulierung der Unterlassungserklärung auf und verweist ansonsten anstelle einer Begründung vollständig auf die Abmahnung. Im Verfügungsantrag sollte ausdrücklich erklärt werden, dass sich der Antragsteller den Sachvortrag aus der Abmahnung zu eigen macht und zum Zwecke der Glaubhaftmachung auf die Anlagen zur Abmahnung verweist. Dadurch ist die Deckungsgleichheit der Schreiben gegeben, sodass einer Beschlussverfügung grds. nichts im Wege steht.
Nach Auffassung der Verfasser wurde in der Rechtsprechung bis dato allerdings nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Abmahnung regelmäßig als reine Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung (und ggf. zur Erfüllung von Nebenansprüchen) formuliert und verstanden wird. Den üblichen Abmahnmustern ist es ...