Im Frühjahr 2019 hat der nordrhein-westfälische Landtag die Landesverfassung geändert und sowohl die Individualverfassungsbeschwerde wie auch die Kommunalverfassungsbeschwerde in „seiner” Verfassung verankert. Vielfach ist dies als Einführung der Rechtsinstrumente wahrgenommen worden, obwohl die Individualverfassungsbeschwerde bereits einfachgesetzlich zum 1.1.2019 eingeführt worden war (vgl. Amos, Individualbeschwerde nun auch in NRW-Verfassung verankert, www.lto.de/recht/nachrichten/n/nrw-landtag-individual-verfassungsbeschwerde-verankert-einfuehrung-januar/ ).
Erst die Normierung in der Verfassung sorgte aber für weitere Aufmerksamkeit für ein bis dahin dem Bürger verschlossenes, unbekanntes Gericht. Dies wurde verstärkt, als am 30.4.2019 die erste Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde auch der dortigen Beschwerdeführerin Recht gab und die fachgerichtlichen Entscheidungen aufhob (VerfGH NRW, Beschl. v. 30.4.2019 – VerfGH 2/19.VB-2). Im ersten Halbjahr hat der Verfassungsgerichtshof nunmehr neun Verfahren entschieden und veröffentlicht, darunter vier Eilverfahren. (vgl. Hotstegs, Statistik: 1. Halbjahr Verfassungsbeschwerde NRW, www.hotstegs-recht.de/?p=7259 ).
Ebenfalls mit Wirkung zum 1.1.2019 hat auch der Landtag von Sachsen-Anhalt die Regelungen „seiner” Landesverfassungsbeschwerde erweitert. Nachdem bislang nur Verfassungsbeschwerden gegen Landesgesetze möglich waren und Sachsen-Anhalt insofern eine Sonderstellung einnahm, können nun auch Entscheidungen einer Behörde oder eines Gerichts – also auch Urteilsverfassungsbeschwerden – erhoben werden.
Mit dem Rechtsmittel ist jeweils nicht nur ein landesverfassungsrechtlicher Schlussstein gesetzt worden, es sind vor allem Hoffnungen geweckt worden: Hoffnungen auf einen spezielleren Rechtsschutz über bis dato kaum judizierte Landesgrundrechte und staatsbürgerliche Rechte einerseits (Hotstegs, Verfassungsbeschwerde NRW, 1. Aufl. 2019, S. 131 ff.), sowie auf schnelleren Rechtsschutz gegenüber der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG andererseits.
Erst die gerichtliche Praxis wird zeigen, ob die Hoffnungen berechtigt sind. Denn die obersten Gerichte in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt teilen ein organisatorisches Schicksal mit vielen anderen Verfassungs- und Staatsgerichtshöfen: Sie sind personell und materiell nicht ausgestattet, rechtliche Grundlagen für eine moderne elektronische Prozessaktenführung fehlen (für NRW: Hotstegs, a.a.O., S. 101, 181), die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs wirken dort ausschließlich im Nebenamt, hauptamtliche Verfassungsrichter sind nicht vorgesehen (zur drohenden Überlastung: Hotstegs, a.a.O., S. 54 m.w.N.).
Vielleicht ist es aber auch genau dieser strukturelle Unterschied zum BVerfG, der sich am Ende auch prozessual niederschlägt. Verfahrenslaufzeiten sind oft kürzer, Entscheidungen ebenso und vielleicht mag weiterhin die räumliche Nähe zu Gesetzgeber und Instanzgerichten eine Rolle spielen. Die Verfassungsbeschwerden der Länder sind damit eine echte Bereicherung für Rechtsschutzsuchende, zumal sie den Rechtsweg nicht verkürzen, sondern eine anschließende Bundesverfassungsbeschwerde systematisch denkbar ist.