Eine "Erörterung" der Sach- und Rechtslage bezieht sich im Zweifel auf Fragen, die für die Sachentscheidung bedeutsam sind. Daher ist dem Angeklagten danach ggf. erneut das letzte Wort zu gewähren. Das ist das Fazit aus dem BGH, Beschl. v. 5.2.2019 (3 StR 469/18, ZAP EN-Nr. 378/2019 = StRR 2019, Nr. 5), der eine Verfahrensrüge eines Angeklagten als begründet angesehen hatte. Nach dem Sachverhalt hatten die Angeklagten in einem gegen sie wegen des Vorwurfs des Raubes geführten Verfahrens in der Hauptverhandlung am 1.3.2018 nach dem Schluss der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen jeweils das letzte Wort erhalten. Anschließend wurde die Hauptverhandlung um 11:35 Uhr unterbrochen und um 11:45 Uhr fortgesetzt. Sodann wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Danach wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen und am 7.3.2018 fortgesetzt. An diesem Tag wurde das Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten erneut das letzte Wort gewährt worden war.
Der Angeklagte hat nach Auffassung des BGH (a.a.O.) zu Recht beanstandet, dass ihm nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage nicht erneut das letzte Wort erteilt wurde. Insoweit gelte: Gemäß § 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO gebühre dem Angeklagten nach dem Schluss der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen das letzte Wort. Trete das Gericht danach erneut in die Beweisaufnahme ein, sei dem Angeklagten wiederum das letzte Wort zu erteilen. Denn mit dem Wiedereintritt in die Verhandlung haben die früheren Ausführungen des Angeklagten ihre Bedeutung als abschließende Äußerungen i.S.d. § 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO verloren (BGH NStZ 1993, 551 m.w.N.). Der Wiedereintritt in die Verhandlung müsse nicht förmlich, sondern könne auch konkludent durch Vornahme einer Prozesshandlung geschehen (BGH NStZ 2004, 505, 507). Ob von einem Wiedereintritt in die Verhandlung auszugehen sei, sei anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (BGH NStZ-RR 2010, 152). Maßgeblich sei, ob es sich um einen Verfahrensvorgang handelt, der für die Sachentscheidung des Tatgerichts von Bedeutung sein kann (BGH, a.a.O.). Das sei beispielsweise nicht der Fall bei einer bloßen Entgegennahme von Hilfsbeweisanträgen (BGH BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 14), bei einer Ersetzung eines Pflichtverteidigers (BGH, Beschl. v. 17.9.1981 – 4 StR 496/81) oder bei der Kundgabe eines Negativattests i.S.d. § 273 Abs. 1a S. 3 StPO. Ein Verfahrensvorgang, der Einfluss auf die Sachentscheidung haben könne, sei demgegenüber jede Prozesshandlung, die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme fällt sowie jede Handlung, in der sich der Wille des Gerichts zum Weiterverhandeln in der Sache zeigt (BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 19). Das sei insbesondere der Fall, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge erörtert werden (BGH NStZ-RR 2010, 152 m.w.N.).
Ebenso verhält es sich nach Auffassung des BGH, falls – wie hier – "die Sach- und Rechtslage erörtert" wird (so bereits BGH NStZ 2012, 587). Wenngleich eine "Erörterung" der Sach- und Rechtslage nicht notwendigerweise die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) zum Gegenstand haben müsse, so verstehe es sich doch von selbst, dass sich die Erörterung "der Sach- und Rechtslage" auf Fragen beziehe, die für die Sachentscheidung bedeutsam seien. Die in der Hauptverhandlung relevante Sach- und Rechtslage werde durch den Anklagevorwurf und die dadurch aufgeworfenen Fragen bestimmt, insbesondere diejenigen, die den Schuld- und Strafausspruch betreffen. Danach sei das Gericht hier durch die Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Verfahrensbeteiligten wieder in die Verhandlung eingetreten, so dass dem Angeklagten anschließend erneut das letzte Wort hätte erteilt werden müssen.
Hinweis:
Eine der doch recht häufigen Entscheidungen des BGH zum sog. Wiedereintritt in die Hauptverhandlung und zum danach dem Angeklagten noch einmal zu gewährenden letzten Wort. Eine Problematik, die bei § 258 StPO angesiedelt ist. Eins ist in diesen Fällen fast immer sicher. Revisionen, die auf einen solchen Verfahrensfehler gestützt werden, haben meist beim BGH Erfolg. Der bügelt in diesen Fällen auch nicht mit der Keule des Beruhens (§ 337 StPO) darüber. So auch hier, wo er nur lapidar ausgeführt hat: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte, der die Anklagevorwürfe in Abrede gestellt hatte, nunmehr Angaben gemacht hätte, die sich zu seinen Gunsten ausgewirkt hätten." (zu allem eingehend auch Burhoff, HV, 3766 ff., 2050 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).