Zusammenfassung
- Während der Zeit der Schließung eines Fitnessstudios aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie war es dem Betreiber rechtlich unmöglich, dem Nutzungsberechtigten die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit seine vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen. Für den Zeitraum der Schließung hat der Nutzungsberechtigte einen Anspruch auf Rückzahlung der entrichteten Monatsbeiträge, sofern der Betreiber von der "Gutscheinlösung" nach Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB keinen Gebrauch gemacht hat.
- Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich nicht in Betracht, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt. Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, soweit der Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt ist.
- Bei Art. 240 § 5 EGBGB handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung, die die gesetzlichen Rechtsfolgen der Unmöglichkeit modifiziert und in ihrem Geltungsbereich die Anwendung des § 313 BGB ausschließt.
- Der Betreiber eines Fitnessstudios hat deshalb gegen seinen Vertragspartner keinen Anspruch auf eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage dahingehend, dass die vereinbarte Vertragslaufzeit um den Zeitraum einer pandemiebedingten Schließung des Fitnessstudios verlängert wird.
(Amtliche Leitsätze)
BGH, Urt. v. 4.5.2022 – XII ZR 64/21 (s. ZAP EN-Nr. 374/2022 [Ls], in dieser Ausgabe)
I. Einleitung
Auch Fitness- und Sportstudios waren von den pandemiebedingten behördlichen Schließungsanordnungen betroffen. In der Folge stellten sich insb. zwei Konstellationen in der rechtlichen Debatte heraus: Einerseits begehrten die Nutzer ihre während der Schließungszeiträume geleisteten Beiträge zurück. So lag es auch in dem vorliegend zu besprechenden Urteil des BGH vom 4.5.2022 – XII ZR 64/21. Andererseits wollten die Fitnessstudios bei Kündigungen eine Verlängerung der Vertragslaufzeit um den behördlich angeordneten Schließzeitraum erreichen.
Die rechtliche Einordnung und Folge der pandemiebedingten Schließung für die Fitnessstudios war in der Rechtsprechung umstritten.
Erste Entscheidungen haben die Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB herangezogen. Dabei stellten sie insb. auf das normative Element dieser Vorschrift ab und nahmen eine Zumutbarkeitsprüfung vor. Mit Verweis auf die Zumutbarkeit wurde die Verlängerungslösung durch das Anhängen des coronabedingten Schließzeitraums an das Vertragsende bejaht (u.a. LG Würzburg, Urt. v. 23.10.2020 – 1 HKO 1250/20; AG Torgau, Urt. v. 20.8.2020 – 2 C 382/19). Teilweise verneinten die Entscheidungen das Vorliegen einer rechtlichen Unmöglichkeit, da die Leistung nachholbar sei. Abstellend auf Solidaritätsgründe einer gerechten Lastenverteilung seien nicht allein den Fitnessstudiobetreibern die Auswirkungen der pandemiebedingten Schließung aufzuerlegen. Zudem würde mit dem Anhängen der Schließungszeiträume an die Vertragslaufzeit die vorher im Vertrag festgelegte Nutzungsdauer nicht verändert und entspräche dem Willen der Parteien (AG Paderborn, Urt. v. 9.7.2021 – 57a C 245/20; AG Ibbenbüren, Urt. v. 27.11.2020 – 3C 300/20; s. auch Golbs, ZAP 2022, 185 ff. [ZAP F. 2, S. 693]).
Spätere Entscheidungen, u.a. die Vorinstanzen der hier besprochenen BGH-Entscheidung (LG Osnabrück, Urt. v. 9.7.2021 – 2 S 35/21), haben die Anwendung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB verneint. Die behördlich angeordnete Schließung sei ein Fall der objektiven Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB. Damit scheine eine Anwendung des insoweit subsidiären § 313 BGB aus (AG Papenburg, Urt. v. 18.12.2020 – 3 C 337/20; LG Osnabrück, Urt. v. 9.7.2021 – 2 S 35/21; AG Frankenthal, Urt. v. 20.7.2021 – 3c C 4/21; LG Freiburg, Urt. v. 27.4.2021 – 9 S 41/20; s.âEUR™auch Golbs, ZAP 2022, 185 ff. [ZAP F. 2, S. 693]).
II. Entscheidung des BGH vom 4.5.2022
Im Ergebnis wird der Anspruch des Nutzers auf Rückzahlung geleisteter Mitgliedsbeiträge im Zeitraum der Schließung gem. §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB bejaht. In den Entscheidungsgründen setzt sich der BGH mit den viel diskutierten Themen der Unmöglichkeit, der Abgrenzung einer planwidrigen Lücke sowie dem Verhältnis zwischen dem Leistungsstörungsrecht und § 313 BGB sowie schließlich mit Art. 240 § 5 EGBGB und § 313 BGB auseinander.
1. Dauernde Unmöglichkeit
In Fortsetzung der bisherigen Judiz ist ein Fall der Unmöglichkeit gegeben, da die Fitnessstudios ihreâEUR™vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht, nämlich die Nutzung von Sportgeräten etc. nicht herbeiführen können und dürfen (BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 146/11 Rn 33 m.w.N.).
§ 275 Abs. 1 BGB erfasst nach dem Urteil des BGH zwar nicht den Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit. Ein solcher liegt mit der Schließung nicht vor. Vertragszweck ist die regelmäßige sportliche Betätigung gegen Zahlung der periodisch fälligen Beiträge. Mit der zeitweisen Schließung kann die regelmäßige Nutzung aufgrund des ...