Als wesentliche Neuerung wurde in § 9 Abs. 2 UWG in grundlegender Abkehr vom bisherigen Lauterkeitsrecht erstmals ein individueller Schadensersatzanspruch für Verbraucher bei Verstößen gegen bestimmte Verbraucherschutzvorschriften des UWG eingeführt. Der neue Anspruch soll Schutzlücken des bisherigen Rechts schließen und neben sonstige etwaig bestehende Rechte und Ansprüche von Verbrauchern aus dem bürgerlichen Recht treten (BT-Drucks 19/27873 S. 20), was freilich auch zahlreiche noch klärungsbedürftige Zweifelsfragen aufwirft (vgl. etwa Köhler, WRP 2022, 435).
1. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Vorsätzlich oder fahrlässig begangene unzulässige geschäftliche Handlung
Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung (o.II.2.a) veranlasst, die sie andernfalls nicht getroffen hätten, ist ihnen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 9 Abs. 2 S. 1 UWG). Keine Ersatzpflicht besteht dagegen – mit Rücksicht auf den Umsetzungsbedarf – bei unlauteren geschäftlichen Handlungen nach den §§ 3a (Rechtsbruch), 4 (Mitbewerberschutz), 6 (vergleichende Werbung) und 7 (unzumutbare Belästigungen) UWG n.F. sowie nach Nr. 32 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG.
Eine Ersatzpflicht besteht nicht nur bei unzulässigen (z.B. irreführenden) geschäftlichen Handlungen des Vertragspartners des Verbrauchers, etwa des Händlers, sondern auch dann, wenn die unzulässige geschäftliche Handlung wie bei einer Herstellerwerbung von einem Dritten ausgeht, mit dem kein Vertragsverhältnis besteht (BT-Drucks 19/27873 S. 40).
b) Zweifacher Kausalzusammenhang
Liegt danach eine unzulässige geschäftliche Handlung vor, so erfordert ein Anspruch auf Schadensersatz zunächst, dass
- der Verbraucher dadurch zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst worden ist, die er andernfalls nicht getroffen hätte, und
- dem Verbraucher daraus ein Schaden entstanden ist.
Anders als bei einem Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG) reicht es für die sog. geschäftliche Relevanz nicht aus, dass die geschäftliche Handlung (lediglich abstrakt) geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (vgl. etwa § 5 Abs. 1 UWG). Vielmehr erfordert eine Ersatzpflicht zunächst, dass der Verbraucher tatsächlich eine durch die unzulässige geschäftliche Handlung adäquat verursachte geschäftliche Entscheidung getroffen hat.
In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob die getroffene geschäftliche Entscheidung adäquat kausal für einen Schaden des Verbrauchers war. Zudem erfasst eine Ersatzpflicht nur solche Schäden, die vom Schutzbereich der verletzten UWG-Norm umfasst sind (KBF/Köhler, UWG § 9 Rn 2.16 ff.).
c) Inhalt und Umfang des Schadensersatzes
Nach der Gesetzesbegründung sollen für den Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruchs die §§ 249 ff. BGB maßgeblich sein und sich der Anspruch regelmäßig nur auf das negative Interesse richten mit der Folge, dass Verbraucher so zu stellen sind, als wäre die unzulässige geschäftliche Handlung nicht vorgenommen und Verbraucher nicht zu der jeweiligen geschäftlichen Entscheidung veranlasst worden (BT-Drucks 19/27873 S. 41). Danach hat der Schädiger im Wege der Naturalrestitution grds. den Zustand herzustellen, der ohne die unzulässige geschäftliche Handlung bestehen würde (BeckOK UWG/Eichelberger, § 9 Rn 147 [i.d.F. v. 28.5.2022]).
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG; o. II.2.a) nicht nur die Entschließung über den Erwerb eines Produkts, sondern auch vorgelagerte Entscheidungen wie etwa über das Aufsuchen eines Geschäfts oder einer Portalseite im Internet, aber auch die Ausübung vertraglicher Rechte im Rahmen der Durchführung eines Vertrags (z.B. Ausübung eines Kündigungsrechts) umfassen kann (BGH, Urt. v. 9.9.2021 – I ZR 90/20, GRUR 2021, 1400 Rn 95) mit der Folge, dass im Einzelfall – abhängig vom Inhalt der jeweiligen geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers – gänzlich unterschiedlich gelagerte Schäden in Betracht kommen (vgl. i.E. etwa Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, UWG, 5. Aufl. 2022, § 9 Rn 147 ff.).
Wurde der Verbraucher etwa durch eine unzulässige irreführende (§ 5 Abs. 1 UWG) oder aggressive (§ 4a Abs. 1 S. 1 UWG) geschäftliche Handlung zu einem Vertragsabschluss (Erwerb des Produkts) veranlasst, so soll der Schaden in der Bindung an diesen Vertrag bestehen, und zwar unabhängig von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung (so etwa KBF/Köhler, UWG § 9 Rn 2.12 ff.; Scherer, WRP 2021, 561 Rn 19; a.A. Alexander, WRP 2021, 136 Rn 68 ff.) mit der Folge, dass der Verbraucher die Aufhebung des Vertrags verlangen kann. Hat der Verbraucher sich aufgrund eines Lockangebots ohne Hinweis auf die unzureichende Bevorratung (Nr. 5 Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG) zum Aufsuchen eines Geschäftslokals entschlossen, so ist er zum Ersatz der vergeblichen Aufwendungen (z.B. Fahrtkosten) berechtigt. Ein durch die Bindung an einen Vertrag verursachter Schaden kann auch dann vorliegen, wenn der Verbraucher durch eine unzulässig geschäftliche Handlung ...