Streitgegenständlich war ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung (§ 7 Abs. 4 BUrlG) bei folgendem Sachverhalt:
Die Klägerin war bei dem Beklagten in einer Fünftagewoche beschäftigt. Die vertraglich gewährte Urlaubsdauer betrug 30 Werktage, die bei der Fünftagewoche 25 Arbeitstage Urlaub (20 Tage Mindesturlaub und 5 Tage Mehrurlaub) entspricht. Der Beklagte kündigte am 23.12.2019 das Arbeitsverhältnis fristlos. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage der Klägerin war erfolgreich. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete sodann aufgrund einer weiteren außerordentlichen Kündigung vor Ablauf des Monats Mai 2021. Während des Kündigungsrechtsstreits war die Klägerin zum 1.2.2020 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen. Dort erhielt sie im Jahr 2020 an 25 Arbeitstagen und in der Zeit v. 1.1.2021 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses an 10 Arbeitstagen Urlaub. Die Klägerin hat von dem Beklagten Abgeltung von insgesamt 7 Arbeitstagen vertraglichen Mehrurlaubs (5 aus dem Jahre 2020 und 2 aus dem Jahre 2021) mit einem Bruttobetrag i.H.v. insgesamt 609,21 EUR verlangt. Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Klägerin müsse sich den Urlaub, den ihr der neue Arbeitgeber gewährt habe, vollständig anrechnen lassen. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Die Revision hatte bezogen auf den Anspruch für das Kalenderjahr 2021 Erfolg und führte insoweit zur Aufhebung und Zurückverweisung, BAG, Urt. v. 5.12.2023 – 9 AZR 230/22, NZA 2024, 467 = NJW 2024, 1209, zu der Entscheidung Lerch, ArbRAktuell 2024, 170.
Nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG setzt der gesetzliche Urlaubsanspruch – dem Grunde nach – allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus und steht nicht unter der Bedingung, dass Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht haben. Nach Art. 1 Abs. 1 RL 2003/88/EG v. 4.11.2003 und Art. 31 Abs. 2 GRCh und dem sich daran ausrichtenden § 1 BUrlG ist der Zeitraum ohne Beschäftigung nach Ausspruch einer unwirksamen Kündigung grds. einem tatsächlichen Arbeitszeitraum gleichzustellen, s. etwa EuGH, Urt. v. 12.10.2023 – C 57/22 Rn 35 ff, NZA 2023, 1451 = NJW 2024, 273. Dies gilt auch bei Vorliegen sog. Doppelarbeitsverhältnisse, zwar nicht nach Unionsrecht – s. BAG Rn 15 mit Hinweis auf EuGH NJW 2020, 2457 –, aber nach den Wertungen des nationalen Rechts, das insoweit einen höheren Schutz zugunsten der Arbeitnehmer vorsieht:
Gehen Arbeitnehmer Doppelarbeitsverhältnisse ein, entstehen nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG Urlaubsansprüche in beiden Arbeitsverhältnissen. Dem entspricht die Regelung in § 6 Abs. 1 BUrlG, der zufolge der Anspruch auf Urlaub nicht besteht, soweit Arbeitnehmern für das laufende Kalenderjahr bereits von früheren Arbeitgebern Urlaub gewährt worden ist oder abgegolten wurde, so bereits BAG NJW 2012, 2989 Rn 15. Wie das BAG in aktuellen Entscheidungen nochmals betont, erfasst die Regelung des § 6 Abs. 1 BUrlG jedoch nicht den – hier vorliegenden – Fall, dass ein Arbeitnehmer nach einer Kündigung des Arbeitgebers ein anderweitiges Arbeitsverhältnis eingegangen ist und festgestellt wird, dass das zuerst begründete Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Auch die Anrechnungsvorschriften in § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 S. 2 BGB sind nicht unmittelbar anwendbar, da sie einen Anspruch aus Annahmeverzug gem. § 615 S. 1 BGB voraussetzen. Der hier geltend gemachte Anspruch beruht jedoch nicht auf der zuletzt genannten Vorschrift, sondern folgt unmittelbar aus dem Bundesurlaubsgesetz. Das BAG entscheidet, dass die bestehende planwidrige Regelungslücke jedoch durch eine analoge Heranziehung des § 11 Nr. 1 KSchG und des § 615 S. 2 BGB zu schließen ist, wonach die der Klägerin von ihrem neuen Arbeitgeber gewährten Urlaubstage auf die gegenüber dem Beklagten entstandenen Ansprüche anzurechnen sind.
Hierbei hat jedoch nicht, wie es das LAG angenommen hat, eine kalenderjahresübergreifende Berechnung – wie die nach der Rechtsprechung im Rahmen der nach § 11 Nr. 1 KSchG und des § 615 S. 2 BGB vorzunehmenden Gesamtberechnung (s. zuletzt BAG NZA 2022, 1465, Rn 37 = NJW 2022, 3733) – zu erfolgen. Vielmehr ist der Anspruch nach der Regelungssystematik des BUrlG kalenderjahresbezogen ausgestaltet, was nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch für den vertraglichen Mehrurlaub gilt, Rn 31 ff. der Entscheidung.
Im Rahmen der Anrechnung ist unerheblich, welche Urlaubsvergütung (das für die Dauer des Urlaubs fortgezahlte Arbeitsentgelt) die Klägerin für die anzurechnenden Urlaubstage von ihrem neuen Arbeitgeber erhalten hat, s. Rn 38 ff.
Hinweis:
Der Geldwert der konkret ausgefallenen Arbeitszeit im Berechnungszeitraum der letzten 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs wird nach § 11 Abs. 1 BUrlG berechnet. Bei der Bestimmung der Bestandteile des Arbeitsverdienstes ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zu beachten, dass für die Zeit des Urlaubs das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten bleibt, s. etwa EuGH, Urt. v. 22.5.2014, NZA 2014, 593, zu Einzelheiten hierzu s. etwa ausführlich Schau...