Der Fünfte Senat des BAG (Urt. v. 18.10.2023 – 5 AZR 22/23, NZA 2024, 128) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine Fiktion, eine gesetzlich zwingende Regelung oder eine strikte Auslegungsregel unter Beschränkung der ergänzenden Vertragsauslegung darstellt, wenn die Parteien entgegen § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG keine bestimmte Dauer der Arbeitszeit festlegen. Der Senat hat sich für letzteres entschieden, seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und fortgeführt.
Die Klägerin ist seit dem Jahr 2009 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie, als „Abrufkraft Helferin Einlage” beschäftigt. Der von ihr mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossene Arbeitsvertrag enthält keine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Die Klägerin wurde – wie die übrigen auf Abruf beschäftigten Arbeitnehmerinnen – nach Bedarf in unterschiedlichem zeitlichen Umfang zur Arbeit herangezogen. Nachdem sich der Umfang des Abrufs ihrer Arbeitsleistung ab dem Jahr 2020 im Vergleich zu den unmittelbar vorangegangenen Jahren verringerte, hat die Klägerin sich darauf berufen, ihre Arbeitsleistung sei in den Jahren 2017 bis 2019 nach ihrer Berechnung von der Beklagten in einem zeitlichen Umfang von durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich abgerufen worden. Sie hat gemeint, eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe, dies sei nunmehr die geschuldete und von der Beklagten zu vergütende Arbeitszeit. Soweit der Abruf ihrer Arbeitsleistung in den Jahren 2020 und 2021 diesen Umfang nicht erreichte, hat sie Vergütung wegen Annahmeverzugs verlangt.
ArbG und LAG haben, ausgehend von der gesetzlichen Regelung des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG angenommen, die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit im Abrufarbeitsverhältnis der Parteien betrage 20 Stunden. Sie haben deshalb der Klage auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung nur insoweit stattgegeben, als in einzelnen Wochen der Abruf der Arbeitsleistung der Klägerin 20 Stunden unterschritten hatte. Die weitergehende Klage hatte auch vor dem BAG keinen Erfolg.
Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf), müssen sie nach § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG arbeitsvertraglich eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen. Unterlassen sie das, schließt § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG diese Reglungslücke, indem kraft Gesetzes eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart gilt. Eine davon abweichende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart. Für eine solche Annahme hat die Klägerin jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen.
Wird die anfängliche arbeitsvertragliche Lücke zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die gesetzliche Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG geschlossen, können die Parteien in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Dafür reicht aber das Abrufverhalten des Arbeitgebers in einem bestimmten, lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum nicht aus. Allein dem Abrufverhalten des Arbeitgebers kommt ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend, er wolle sich für alle Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden, nicht zu. Ebenso wenig rechtfertigt allein die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, die Annahme, der Arbeitnehmer wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.
Hinweise:
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Das BAG bestätigt damit den Leitsatz der Entscheidung aus dem Jahr 2014 (BAG, Urt. v. 24.9.2014 – 5 AZR 1024/12, NZA 2014, 1328 unter Aufgabe der vorherigen Rechtsprechung BAG, Urt. v. 8.10.2008 – 5 AZR 715/07, Rn. 24, AuA 2009, 204), dass bei Fehlen einer Teilzeitvereinbarung im Zweifel ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet werde): „Haben die Arbeitsvertragsparteien eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt, berührt das nicht die Wirksamkeit der vereinbarten Arbeit auf Abruf. Es gelten die zum Schutz des Arbeitnehmers gesetzlich fingierten Arbeitszeiten (§ 12 Abs. 1 S. 3 u. S. 4 TzBfG)”. |
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Vorausgesetzt wird zweierlei: (1) Die Parteien haben im Arbeitsvertrag keine Regelung zum Umfang der Arbeitszeit getroffen. (2) Sie haben aber wirksam Abrufarbeit vereinbart. Rechtsfolge: Dann gilt grds. nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart. |