Amtliche Leitsätze:
- Ein auf eine unzulässige Telefonwerbung gemäß § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG gestützter Schadensersatzanspruch erfasst nur solche Schäden, die vom Schutzbereich dieser Bestimmung erfasst sind.
- Gegenstand des Schutzes gem. § 7 Abs. 1 UWG ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die Privatsphäre des Verbrauchers und die geschäftliche Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe des sonstigen Marktteilnehmers.
- § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG bezweckt nicht den Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer vor Belästigungen durch Werbeanrufe.
BGH, Urt. v. 21.4.2016 – I ZR 276/14, ZAP EN-Nr. 532/2016
Bearbeiter: Rechtsanwalt Guido Vierkötter, LL.M., Neunkirchen-Seelscheid
I Einführung
Nach § 7 Abs. 1 S. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung unzulässig, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird. Eine unzumutbare Belästigung im vorgegebenen Sinne liegt z.B. bei einem gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer (kein Verbraucher) – ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung – erfolgten Werbeanruf (sog. Cold Call) vor, § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Das LG Bonn (Urt. v. 5.8.2014 – 8 S 46/14) hatte diesbezüglich die Auffassung vertreten, dem angerufenen Unternehmer stehe ein Vertragsaufhebungsanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 UWG zu, den er dem Vergütungsanspruch des Anrufers aufrechnungsweise entgegenhalten könne.
Rechtsprechungshinweise:
Das AG Bonn (Urt. v. 23.6.2015 – 109 C 348/14, ZAP EN-Nr. 677/2015 – Berufung beim LG Bonn anhängig) hat diese Aufrechnungskonstruktion über § 242 BGB (dolo agit) mit § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 7 UWG gebildet. Ferner hat das LG Arnsberg (Urt. v. 22.1.2015 – 8 O 133/14 – Berufung beim OLG Hamm anhängig) die Umgehungsvariante über §§ 280, 311 BGB i.V.m. § 7 UWG versucht. Die h.M. sieht dies anders.
II. Sachverhalt
In dem nun vom BGH entschiedenen Fall ging es um ein Vertragsverhältnis zwischen der Betreiberin eines elektronischen Branchenverzeichnisses (Kl.) und der Inhaberin eines Bio-Ladengeschäfts (daher der Name der Entscheidung „Lebens-Kost“). Eine Mitarbeiterin der Klägerin hatte die Beklagte ohne vorangegangenen Kontakt angerufen und ihr einen Eintrag in dem Branchenverzeichnis der Klägerin angeboten. Nachdem die Beklagte ihr Interesse an einem solchen Eintrag bekundet hatte, wurden in einem einvernehmlich und ausdrücklich verabredeten weiteren telefonischen Gespräch, das mit Zustimmung der Beklagten aufgezeichnet wurde, die wesentlichen Vertragsbedingungen gem. § 147 Abs. 1 S. 2 BGB festgehalten. Die Beklagte wurde ferner auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Klägerin hingewiesen, die auf der Internetseite der Klägerin abrufbar waren. Diese AGB sahen eine Vorleistungspflicht des Kunden vor, beinhalteten jedoch kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht.
Nach Erhalt der Rechnung zahlte die Beklagte nicht, erklärte die Anfechtung des Vertrags und rechnete hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch, gerichtet auf Befreiung vom Vertrag, wegen eines gem. § 7 UWG unlauteren Werbeanrufes auf.
III Entscheidung
Nach Ansicht des BGH besteht kein Schadensersatzanspruch wegen einer unzumutbaren Belästigung i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG, den die Beklagte dem vertraglichen Vergütungsanspruch gem. § 242 BGB wegen einer sofortigen Rückgewährverpflichtung (dolo agit-Einwand) oder im Wege einer hilfsweise erklärten Aufrechnung gem. § 389 BGB entgegenhalten kann. Es fehlt an einem von dem Schutzzweck des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG erfassten Schaden, so dass ein Schadensersatzanspruch, der auf Vertragsaufhebung gerichtet ist, von vornherein ausscheidet. Der BGH hat ferner ausgeführt, dass der Vertrag erst durch den zweiten Anruf begründet wurde. Die Einwilligung dazu erfolgte im ersten Anruf. Auch wenn der erste Anruf nicht von einer ausdrücklich erklärten oder mutmaßlichen Einwilligung gedeckt gewesen sei, gehöre eine eventuell – im zweiten Anruf – erfolgte Überrumpelungssituation nicht zu den Gefahren, vor denen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG schützen wolle. Der Zweck der Norm des § 7 UWG erstrecke sich über die Belästigung hinausgehend nicht auf die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit, z.B. unter dem Aspekt der Überrumpelung. Würde man die Entscheidungsfreiheit der betroffenen Person in den Schutzbereich des § 7 UWG einbeziehen, so würden sich auch die durch das Unionsrecht nahegelegten systematischen Grenzen zu § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG (aggressive geschäftliche Handlung in Form der Belästigung) verwischen. Zum Schadensumfang führt der BGH dann konkreter werdend aus, § 7 Abs. 2 UWG solle verhindern, dass die belästigende Werbung (hier kommt der BGH in erster Linie auf die Faxwerbung zu sprechen) zu einer Bindung von Ressourcen des Empfängers, z.B. Zeitaufwand, Kosten für Faxpapier, Vorhaltekosten von Empfangseinrichtungen, Entsorgungskosten, führen. Dass der Telefonanruf im Falle des LG Bonn eine zum Schadensersatz führenden Störung der Betriebsabläufe verursacht haben könnte, war nach Ansicht des BGH nicht ersichtlich.
IV. Anmerkung
Nach den Gesetzesmaterialien zum UWG 2004 stellen die zi...