Ein oberflächlicher Blick in die Veröffentlichungen zur Frage der Zukunft des Allgemeinanwalts reicht allenfalls für eine Positionsbestimmung. Überwiegend vernehmen wir die Stimmen der Mahner. Sie sind prominent und rütteln wach: "Keine Zukunft für den Allgemeinanwalt" (Hartung, http://www.dg-psf.de/Beitrag_25.02.2012.html ); "Den Generalisten unter den Anwälten droht das Aus" (Schiemzik, https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article165589148/Den-Generalisten-unter-den-Anwaelten-droht-das-Aus.html v. 16.6.2017).
Beim Für und Wider begegnen altbekannte Argumente: Die Spezialisierung erlaubt dem Rechtsanwalt eine bessere Fokussierung auf "sein" Rechtsgebiet und führt letztlich zu mehr Umsatz. Die Ertragslage der Kanzleien und der Einzelanwälte ist jedoch nur ein Blickwinkel. Sie wird zudem von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt, zu denen auch der Einsatz moderner Technologien gehört.
Zunächst ein Blick auf die Fachanwaltszahlen: Die Rechtsanwaltskammern haben bis 2017 in annähernd 53.600 Fällen die Befugnis verliehen, einen Fachanwaltstitel zu führen. Damit verfügen nicht bereits rund 1/3 der Rechtsanwälte über einen Fachanwaltstitel, denn in dieser Zahl sind auch die Fälle erfasst, in denen ein Rechtsanwalt zwei oder drei Fachanwaltstitel führt. Der Zustrom zum Fachanwaltstitel ist seit 2010 abgeflacht.
Wie Kilian in seinem Forschungsbericht "Rechtsanwälte als Spezialisten und Generalisten" (Soldan Institut für Anwaltmanagement, 2013) bereits nachgewiesen hat, sind viele Fachanwälte nicht ausschließlich auf ihrem Fachgebiet tätig, sondern übernehmen daneben oder sogar überwiegend Fälle als Allgemeinanwalt. Der Allgemeinanwalt in der Praxis ist entgegen einer vereinzelt noch anzutreffenden Darstellung nicht der "Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt", der aus Verlegenheit und zur Sicherung seines Einkommens jedes Mandat annimmt. Er hat vielmehr ein Profil, das breiter angelegt ist als die Fachanwaltschaften. Sein Schwerpunkt liegt auf allen Gebieten des Zivilrechts sowie – je nach seinem individuellen Anforderungsprofil – darüber hinaus im Arbeits-, Verkehrs- und Sozialrecht, einschließlich Ordnungswidrigkeitsangelegenheiten und "kleiner" Strafverteidigungen. Er verfügt über eine breite forensische Erfahrung und über eine Expertise im Bereich der Sachverhaltsermittlung.
Die reine Wiederholung lange bekannter Argumente verstellt den Blick auf die rasanten Änderungen nicht nur im Rechtsberatungsmarkt, sondern generell in der Rechtspflege. Überlegungen zur Zukunft der Allgemeinanwälte müssen bei der Frage ansetzen, wie sich die Rechtspflege verändert, welche Eckwerte eines Rechtsstaats aufrechterhalten werden müssen und welche Bedeutung der Anwaltschaft hierbei zukommt. Konkret: Welche Auswirkungen hat der Rückzug der Justiz, z.B. durch Gerichtszusammenlegungen oder -schließungen? Welche Rolle spielt das Recht bei der Lösung von Konflikten? Welche Bedeutung kommt der Anwaltschaft bei der Durchsetzung individueller Rechte oder der Konfliktvermeidung durch vorsorgende Rechtspflege zu? Welche finanziellen Mittel stellt der Staat für die Justiz bereit? Wieviel investiert der Rechtssuchende selbst, um sein Recht durchzusetzen?
Damit ist die Frage nach der Zukunft der Allgemeinanwälte letztlich die Frage nach dem Selbstverständnis der Anwaltschaft bei der Lösung von Konflikten, der Verfassung der Anwaltschaft insgesamt, ihrer Stellung im System und als Akteur der Rechtspflege. Gefordert ist hier die bereits von Hartung (a.a.O.) im Jahr 2012 angeregte differenzierte Betrachtung und eingehende Diskussion. Diese mahnt auch Kilian (a.a.O., S. 223 f.) an: "Ein wenig in den Hintergrund tritt bei all diesen primär ökonomischen Betrachtungen freilich die wichtige Frage, ob ein Rechtsdienstleistungsmarkt perspektivisch funktionieren kann, wenn in ihm fast ausschließlich Spezialisten tätig sind. So ist etwa bei den Heilberufen seit langem die besondere Rolle und Funktion des Allgemeinmediziners als wichtig anerkannt. (...) Unverzichtbar für die Anwaltschaft ist, über die Rolle und Funktion von Allgemeinanwälten künftig differenzierter zu diskutieren als dies bislang durch den isolierten Blick auf ihre vermeintlich problematische wirtschaftliche Situation erfolgt."
Dabei sollten drei Aspekte besonders beleuchtet werden: Die alternative außergerichtliche Streitbeilegung, der Rückzug der Gerichte aus der Fläche und die Angebote durch Legal Tech.
Neben die gerichtliche Konfliktlösung tritt vermehrt die alternative außergerichtliche Streitbeilegung durch Schlichtung, Mediation, staatlich eingerichtete Gütestellen, Schiedsstellen, Ombudsmänner etc. Ihre unverzichtbaren Rahmenbedingungen sind: transparentes Verfahren und Offenlegung etwaiger wirtschaftlicher Verflechtungen der Entscheider, vollständige Aufklärung des Sachverhalts, gleiche Informationslage der Beteiligten, kein Machtgefälle zwischen den Beteiligten. Damit sind originäre anwaltliche Kompetenzen gefragt – bei der Aufklärung des Sachverhalts, dem Ausgleich eines Machtgefälles und der Vo...