Anlässlich der zum 1.7.2020 von Deutschland übernommenen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union haben sowohl die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) ihre Erwartungen an die Aktivitäten und Ziele der neuen Ratspräsidentschaft formuliert.
Im Vordergrund der Wünsche beider Anwaltsorganisationen stehen übereinstimmend die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten und insb. die Wahrung der Rolle der Anwaltschaft als Teil der Rechtspflege in der EU. Mit Sorge betrachten sie die Mängel in der Rechtsstaatlichkeit einiger EU-Staaten; insb. den zunehmenden Einschränkungen bei der Meinungsfreiheit sowie bei der Unabhängigkeit der Justiz müsse begegnet werden. Zu Recht habe die EU-Kommission die Verknüpfung der Zahlung von EU-Mitteln an die Mitgliedstaaten mit der Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit in diesen Staaten gefordert, meint etwa der DAV. Dies sei eine essenzielle Forderung, um einer weiteren Erosion der Rechtsstaatlichkeit in der EU Einhalt zu gebieten.
Darüber hinausgehend formulieren BRAK und DAV noch weitere jeweils spezifische Anliegen. Während die BRAK ihr Augenmerk auf die Stellung der Anwaltschaft und ihre Bedeutung für die Rechtspflege legt, sorgt sich der DAV v.a. um die Gefahren, die von der Künstlichen Intelligenz für die Grundrechte ausgehen sowie um die EU-Asylpolitik. So kritisiert die BRAK, dass in den letzten Jahren insb. im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche die anwaltlichen Grundpflichten und auch die Selbstverwaltung angegriffen worden sind. Die Forderungen der BRAK beziehen sich daher v.a. auf die anwaltliche Unabhängigkeit und Verschwiegenheit, die den Anwalt als Organ der Rechtspflege zum Garanten für die Rechtsstaatlichkeit machen. "Im Rahmen der Ratspräsidentschaft ist besonderes Augenmerk auf die Stellung der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege, die Sicherstellung der anwaltlichen Selbstverwaltung und den Schutz der Vertraulichkeit als Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger zu legen. Der Zugang zum Recht muss sichergestellt werden und die Verfahrensgarantien im Strafverfahren gestärkt werden. Die Anwaltschaft ist systemrelevant! Dies muss auch auf europäischer Ebene umfassend berücksichtigt und garantiert werden", argumentierte BRAK-Präsident, Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels.
Der DAV sieht besonders hohe Gefahren für die Grundrechte durch die Einführung von Systemen der Künstlichen Intelligenz im Bereich der Justiz; sie müsse daher strengen Anforderungen unterworfen werden. "Gerichtliche und ähnlich eingriffsintensive verbindliche Entscheidungen staatlicher Instanzen dürfen niemals vollständig automatisiert werden", mahnte DAV-Präsidentin, Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann. Kritisch sieht der Verein auch den von der EU-Kommission geplanten "New Pact on Migration and Asylum" und die damit offenbar verbundene Einführung einer verpflichtenden Vorprüfung von Asylanträgen an der EU-Außengrenze. Die Anwälte warnen hier vor zwei Szenarien: Entweder würden solche Verfahren lange dauern und in den Lagern würden katastrophale Bedingungen wie aktuell in Griechenland drohen. Oder es würde bei einer sehr schnellen Abwicklung die Qualität leiden und der Zugang zum Recht wäre fraglich. Menschenrechtswidrige Abschiebungen müssten aber um jeden Preis vermieden werden.
[Quellen: BRAK/DAV]