EuGH: Vorlagebeschluss beim EuGH zum Fremdkapitalverbot

Der EuGH könnte das strikte Verbot der Beteiligung von Fremdkapital an Anwaltskanzleien relativieren. Der Generalanwalt teilte in seinem Schlussplädoyer die Zweifel des Vorlagegerichts an der Vereinbarkeit mit Unionsrecht.

Am 1. August 2022 ist eine große BRAO-Reform in Kraft getreten, mit der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften die interprofessionelle Zusammenarbeit mit anderen freien Berufsgruppen wie Architekten, Medizinern und Sachverständigen ermöglicht wurde. Das strikte Verbot der Beteiligung von Fremdkapital an Anwaltsgesellschaften blieb dabei unangetastet. Dies könnte der EuGH möglicherweise ändern.

Vereinbarkeit des Fremdkapitalverbots mit EU-Recht infrage gestellt

Der BayAGH als Vorlagegericht äußerte in seinem Vorlagebeschluss Zweifel, ob das strikte Fremdkapitalverbot, d.h. das Verbot der Beteiligung von Finanzinvestoren an einer Anwaltsgesellschaft, mit EU-Recht vereinbar ist. Das Vorlagegericht befürchtet eine unionsrechtlich unzulässige Beschränkung der Freiheit des Kapitalverkehrs sowie einen unionrechtswidrigen Eingriff in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU.

Anteilsmehrheit an österreichische GmbH veräußert

In dem vor dem BayAGH anhängigen Verfahren ging es um den Widerruf der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer Unternehmergesellschaft mit beschränkter Haftung (UG) durch die RAK München. Der alleinige Inhaber der UG veräußerte im Juni 2021 51 % seiner Geschäftsanteile an eine österreichische GmbH. Die Satzung der UG enthielt umfangreiche Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung gegenüber einem möglichen Einfluss der Gesellschafter und auch darüber hinaus Regelungen zur strikten Einhaltung der anwaltlichen Berufsregeln.

Widerruf der Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer

Die RAK München entzog nach Bekanntwerden der Beteiligung der Anwaltsgesellschaft die Zulassung. Hiergegen klagte die UG vor dem AGH München. Dieser hatte Zweifel an der Vereinbarkeit der geltenden Regelungen der §§ 59i, 59j BRAO mit EU-Recht. Er bat daher den EuGH um Klärung folgender Fragen:

· Wird durch die deutsche Regelung die Freiheit des Kapitalverkehrs in unzulässiger Weise dadurch beschränkt, dass die Anteile einer Anwaltsgesellschaft nicht an nicht zur Anwaltschaft zugelassene Personen oder Gesellschaften veräußert werden dürfen?

· Wird durch die deutsche Regelung die EU-Dienstleistungsrichtlinie in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt?

· Beschneidet die deutsche Regelung die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften anderer Länder in unionsrechtswidriger Weise?

Berechtigtes Gesetzgeberinteresse an der Unabhängigkeit der Rechtspflege

Der Generalanwalt am EuGH vertrat nun in seinem Schlussplädoyer die Auffassung, dass die strikte deutsche Regelung grundsätzlich durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein kann. Allerdings weise gerade die seit August 2022 geltende Neuregelung Inkohärenzen auf. Der Generalanwalt beanstandete insbesondere folgende Regelungen:

· So dürfen sich nach der Neuregelung bestimmte Berufsgruppen wie Steuerberater, Mediziner und Sachverständige an Rechtsanwaltsgesellschaften beteiligen. Hieraus folge, dass der Gesetzgeber das Gemeinwohlinteresse durch die Beteiligung nicht anwaltlicher Gesellschafter nicht in jedem Fall als gefährdet betrachtet.

· Auch leuchte nicht ohne weiteres ein, dass das überwiegende Gemeinwohlinteresse es erfordere, dass - wie nach der geltenden Regelung erforderlich - jeder Gesellschafter auf irgendeine Weise in der Gesellschaft tätig sein müsse.

· Auch die Begrenzung der Beteiligung der zugelassenen Berufsgruppen auf maximal 49% der Kapitalanteile und Stimmrechte sei in sich nicht wirklich schlüssig. Der Einfluss eines mit 49% beteiligten Gesellschafters könne erheblich sein und sei qualitativ nicht zwingend unter einer 51%-Beteiligung einzustufen.

Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch die aktuelle Regelung?

Im Ergebnis sieht der Generalanwalt in diesen Widersprüchlichkeiten eine unangemessene Beschränkung der gemäß der EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123 innerhalb der Mitgliedstaaten gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit. Zugleich betonte der Generalanwalt aber, dass der nationale Gesetzgeber zur Sicherung einer unabhängigen Rechtspflege Eingriffe in die Kapitalverkehrsfreiheit auf der Grundlage des Art. 15 der EU Dienstleistungsrichtlinie vorsehen darf. Die Schlussanträge des Generalsanwalts haben beim EuGH in der Praxis die Funktion eines Rechtsgutachtens zu den aufgeworfenen Vorlagefragen.

Sicherung der Rechtspflege durch Vertragsgestaltung möglich?

Die Antwort zur Auflösung dieses Interessenkonfliktes zwischen Dienstleistungsfreiheit und dem Gemeinwohlinteresse einer unabhängigen Rechtspflege findet sich möglicherweise – zumindest im Ansatz - bereits in den Vorlagebeschluss des BayAGH. Dieser weist darauf hin, dass im konkret zur Entscheidung stehenden Fall die Sicherung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege durch detaillierte Satzungsbestimmungen der Anwaltsgesellschaft in hinreichender Weise sichergestellt wurden. Das Erfordernis solcher detaillierter Vertragsvorgaben könnte möglicherweise Gegenstand einer künftigen gesetzlichen Regelung sein.

Die Ampel plant Reform des Fremdkapitalverbots

Insoweit ist es nicht uninteressant, dass der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung eine Überprüfung des Fremdkapitalverbots bereits vorsieht. Das BMJ hat aber - wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die ablehnende Haltung von DAV und BRAK gegenüber einer Änderung – bereits mehrfach vor einer überstürzten Reform gewarnt. Die Anwaltschaft befürchtet bei einer Lockerung des Fremdkapitalverbots eine zu große Einflussnahme von Kapitalinteressen auf die Ausübung des Anwaltsberufs und sieht darin eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Anwaltschaft. Das kommende Urteil des EuGH wird daher von allen Seiten mit Spannung erwartet und dürfte einige Leitplanken für die geplante Reform vorgeben.


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