Das Annahmeverzugslohnrisiko des Arbeitgebers in langwierigen Kündigungsschutzverfahren verringert sich aufgrund neuer Entwicklungen in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Anrechnung böswillig unterlassenen Erwerbs (vgl. Barrein, NZA 2023, 334 m.w.N. zur einschlägigen Rechtsprechung). Immer mehr Arbeitsgerichte erkennen aktuell eine Pflicht gekündigter Arbeitnehmer an, sich bereits während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens aktiv anderweitig zu bewerben. Wer dies unterlässt, erhält später keine Gehaltsnachzahlungen, selbst bei Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. Christ/Jeck, DStR 2023, 1014). So stellt der Fünfte Senat (BAG, Urt. v. 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, NZA 2023, 229) u.a. fest:
Zitat
„Das Prinzip der Gesamtabwägung der Parteiinteressen bei der Beurteilung der Böswilligkeit i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG schließt es aus, einen einzelnen Umstand losgelöst von allen sonstigen absolut zu setzen. Das gilt auch für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Arbeitssuchendmeldung. Die Verletzung der sozialrechtlichen Meldepflicht aus § 38 Abs. 1 SGB 3 ist im Rahmen der Gesamtabwägung bei der Beurteilung der Böswilligkeit i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG zu beachten, weil dem Arbeitnehmer arbeitsrechtlich das zugemutet werden kann, was ihm das Gesetz ohnehin abverlangt. Ein mitwirkendes Verschulden des Arbeitnehmers i.S.v. § 254 Abs. 1 BGB durch eine (ungenutzte) Möglichkeit den Schaden zu mindern, indem er anderweitigen Verdienst erzielt, ist bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen.”
Der Arbeitgeber kann Annahmeverzug nach dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht dadurch vermeiden, dass er dem Arbeitnehmer der äußeren Form nach eine Prozessbeschäftigung anbietet, ohne dass sein tatsächlicher Wille auf eine solche Beschäftigung gerichtet ist. Kündigt er dem Arbeitnehmer verhaltensbedingt fristlos und begründet dies mit einer Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung, verhält er sich widersprüchlich, wenn er dem Arbeitnehmer eine Prozessbeschäftigung zu gleichen Bedingungen anbietet, weshalb es zu vermuten steht, dass dieses Angebot nicht ernsthafter Natur war. Lehnt der Arbeitnehmer es ab, für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses bei seinem bisherigen Arbeitgeber weiterzuarbeiten, indiziert dies allein nicht fehlenden Leistungswillen i.S.d. § 297 BGB. Die möglichen Rechtsfolgen der Ablehnung einer Prozessbeschäftigung richten sich ausschließlich nach § 11 Nr. 2 KSchG (BAG, Urt. v. 29.3.2023 – 5 AZR 255/22, NZA 2023, 894).