Nachdem das BVerwG Anfang Juni 2023 per Pressemitteilung über den Eingang der ersten Tatsachenrevision auf der Grundlage des zum 1.1.2023 in Kraft getretenen § 78 Abs. 8 AsylG informiert hatte, war eine inhaltliche Entscheidung zur Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien mit Spannung erwartet worden. Hierzu ist es indes nicht gekommen, weil die Revision nicht innerhalb der (verlängerten) Frist des § 139 Abs. 3 S. 1 i.V.m. S. 3 VwGO begründet wurde und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Auffassung des BVerwG nicht vorlagen. Der die Revision verwerfende Beschl. v. 25.9.2023 enthält dabei Ausführungen zu den allgemeinen Anforderungen an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs, die nicht lediglich für den im Asylrecht tätigen Rechtsanwalt von erheblichem Interesse sein dürften (BVerwG, Beschl. v. 25.9.2023 – 1 C 10.23, NVwZ 2023, 1913 ff.).
Ausgehend von dem allgemein anerkannten Verschuldensbegriff des § 60 Abs. 1 VwGO stellt das BVerwG klar, dass die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übersendung mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen. Insoweit sei in ständiger Rspr. entschieden, dass der Nutzer mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits zur Fristwahrung Erforderliche getan habe, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginne, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss am Tag des Fristablaufs bis 24 Uhr zu rechnen gewesen sei. Dabei habe der Verfahrensbeteiligte beispielsweise den Aufwand zu kalkulieren, der zeitlich und organisatorisch erforderlich sei, um den rechtzeitigen Eingang seiner Prozesserklärung in der vorgeschriebenen Form zu ermöglichen. Zudem müsse der Versender Verzögerungen einkalkulieren, mit denen üblicherweise zu rechnen sei, wozu schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten oder – bei der Übermittlung mittels Telefax – die Belegung des Telefaxempfangsgeräts bei Gericht durch andere eingehende Sendungen gehörten. Gerade in den Abend- und Nachtstunden müsse damit gerechnet werden, dass wegen drohenden Fristablaufs weitere Beschwerde- oder Revisionsführer versuchten, Schriftstücke fristwahrend zu übermitteln. Die Belegung eines gerichtsähnlichen Telefaxanschlusses durch andere eingehende Sendungen sei nämlich eine kurz vor Fristablauf allgemein zu beobachtende Erscheinung, der ein Verfahrensbeteiligter oder sein Prozessbevollmächtigter im Hinblick auf die ihm obliegende Sorgfaltspflicht durch einen zeitlichen – zur geschätzten Übermittlungszeit hinzuzurechnenden – Sicherheitszuschlag Rechnung zu tragen habe. In Bezug auf die Übermittlung per Telefax sei geklärt, dass Rechtsschutzsuchende die im Verkehr erforderliche Sorgfalt erfüllten, wenn sie einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von 20 Minuten einkalkulierten.
Vergleichbare Sorgfaltspflichten gälten auch bei der elektronischen Übersendung mittels beA. Auch im elektronischen Rechtsverkehr müsse mit einer nicht jederzeit reibungslosen Übermittlung gerechnet werden und können z.B. Schwankungen bei der Internetverbindung oder eine hohe Belastung des Servers kurz vor Mitternacht etwa wegen einer großen Anzahl eingehender Nachrichten oder wegen der Durchführung von Software-Updates zu Verzögerungen führen, die einzukalkulieren seien. Ob für den elektronischen Rechtsverkehr dabei stets eine vergleichbare zeitliche Reserve in der Größenordnung von 20 Minuten zu fordern sei, hat das BVerwG allerdings ausdrücklich offengelassen. Denn jedenfalls die hier gewählte Zeitspanne von unter sieben Minuten für die Übermittlung über beA sei zu knapp bemessen gewesen, um mögliche Verzögerungen der Übermittlung auch einer nur etwa 280 KB umfassenden Datei ohne Anlagen einzukalkulieren. Aufgrund der viel zu knapp gerechneten Zeitspanne habe sich der Anwalt auch von vornherein jeglicher Möglichkeiten beraubt, selbst einfache Maßnahmen für den Versuch einer Fehlerbehebung, wie z.B. einen Neustart seines Rechners, zu ergreifen und die Übermittlung des Schriftsatzes über beA wiederholt zu versuchen.
Hinweis:
Die sog. Sieben-Minuten-Entscheidung des BVerwG reiht sich ein in zahlreiche Entscheidungen der Bundesgerichte zu den Anforderungen an anwaltliche Sorgfaltspflichten im elektronischen Rechtsverkehr, zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 10.10.2023 – VIII ZB 60/22, NJW 2024, 83 ff. und BGH, Beschl. v. 6.9.2023 – IV ZB 4/23, NJW 2023, 3432. Sie ist aber nicht ohne Kritik geblieben (vgl. Müller, NVwZ 2023, 1883 ff.). Es bleibt abzuwarten, welche zeitliche Sicherheitsreserve bei der Übermittlung von Schriftstücken im elektronischen Rechtsverkehr kurz vor Fris...