Das vieldiskutierte Urteil, das der Gerichtshof der Europäischen Union (damals noch Europäischer Gerichtshof) in Sachen "Schultz-Hoff" verkündete (EuGH 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135) zwang den Neunten Senat des BAG v. zu einer grundlegenden Reform und Neuausrichtung des Urlaubsrechts, die sich auch auf die Vertragsgestaltungspraxis auswirkt (vgl. Wesemann ArbRAktuell 2014, 480; Schubert RdA 2014, 9; Straube/Hilgenstock ArbRAktuell 2010, 333; Krieger/Arnold NZA 2009, 530).
Nach der Auffassung des EuGH kann von dem Arbeitnehmer nicht in Anspruch genommener Urlaub nicht verfallen, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Jahres und des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt war und er deshalb seinen Urlaub nicht nehmen konnte. Endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt hat, ist der angesammelte Urlaub finanziell abzugelten (§ 7 Abs. 4 BurlG; vgl. Powietzka/Fallenstein NZA 2010, 673; BAG v. 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538).
Erleichterung und Rechtssicherheit für den Arbeitgeber schafft die Entscheidung des Neunten Senats vom 7.8.2012 (9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216), wonach die gesetzlichen Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers, der aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert ist, aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen (im Anschluss an EuGH 22.11.2011 – C-214/10, Rn. 32 "KHS" – 15-Monatsgrenze für das Ansammeln von Urlaubsansprüchen bei langer Krankheit).
Hinsichtlich des übergesetzlichen Mehrurlaubs besitzen die Arbeitsvertragsparteien eine weitreichende Regelungsbefugnis. So stellt der Neunte Senat (BAG v. 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, Rn. 81, a.a.O.) ausdrücklich fest:
Zitat
"Die Parteien des Einzelarbeitsvertrags können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 I EGRL 88/2003 gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt."
Aufgrund der gewandelten Rechtsprechung gewinnen Urlaubsklauseln in Arbeitsverträgen deshalb eine grundlegend neue Bedeutung und wirtschaftliche Tragweite (vgl. BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 760/10 zur Differenzierung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und übergesetzlichem Mehrurlaub und zur Tilgungsbestimmung bei Urlaubsgewährung).
Es ist eine rechtssichere, klare Differenzierung zwischen gesetzlichem, unverzichtbarem Mindesturlaub und etwaigem gesetzlichen Zusatzurlaub (vgl. § 125 Abs. 1 SGB IX, BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, 170) sowie dem arbeitsvertraglich darüber hinaus gewährten Mehrurlaub geboten, um die sich im Rahmen der Vertragsgestaltung bietenden Spielräume zu nutzen.
Soll dem Arbeitnehmer im Falle einer Langzeiterkrankung nur der gesetzlich garantierte Mindesturlaubsanspruch erhalten bleiben und ein darüber hinaus gehender vertraglicher Mehrurlaubsanspruch verfallen, muss die vertragliche Urlaubsregelung dies klarstellen.
Beispiel – Urlaubsklausel:
(vgl. Powietzka/Fallenstein NZA 2010, 673, 675 f. mit weitergehenden Formulierungshilfen zu Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalten)
- Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindesterholungsurlaub von 20 Werktagen bezogen auf eine fünf-Tage-Woche. Im Übrigen gelten die Vorschriften des BurlG in seiner jeweils aktuellen Fassung.
- Über den gesetzlichen Urlaubsanspruch nach 1. hinaus steht dem Arbeitnehmer zusätzlich bezahlter Erholungsurlaub von weiteren (x) Tagen pro Jahr zu. Dieser arbeitsvertragliche Mehrurlaubsanspruch verfällt spätestens mit Ablauf des Kalenderjahres. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht nehmen kann, z.B. weil er während des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt ist.
- Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
- Mit der Urlaubserteilung erfüllt der Arbeitgeber zunächst den Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesterholungsurlaub, dann einen ggf. bestehenden Anspruch auf gesetzlichen Zusatzurlaub. Erst nach vollständiger Erfüllung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs wird der vertragliche Mehrurlaub i.S.v. Nr. 2 S. 1 erteilt.
Beispiel – Urlaubsklausel Anrechnung von Fehlzeiten:
(vgl. Maschmann/Sieg/Göpfert-Viethen/Viethen, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, Kap. 530, Rn. 75)
Der über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen hinausgehende Urlaub verringert sich bei Fehlzeiten nach folgender Maßgabe: Für je vier Tage Arbeitsunfähigkeit oder von dem Arbeitnehmer nicht beeinflussbarer Fehlzeiten verringert sich der arbeitsvertragliche Mehrurlaubsanspruch um einen Tag. Bei einem schuldhaften Fernbleiben von der Arbeit verringert sich der Mehrurlaubsanspruch um zwei Tage pro Fehltag.