Das SGB XII sieht seit dem 1.1.2011 nach der Anlage zu § 28 für volljährige Leistungsempfänger drei Regelbedarfsstufen vor:
- Stufe 1 für alleinstehende oder alleinerziehende Personen (derzeit 399 EUR),
- Stufe 2 für jeweils zwei erwachsende Personen, die als Partner einen gemeinsamen Haushalt führen (derzeit 360 EUR) und
- Stufe 3 für Personen, die weder allein, noch mit einem Partner einen Haushalt führen (derzeit 320 EUR).
Das BSG hatte sich mit Klagen volljähriger, behinderter Leistungsberechtigter zu befassen, die mit anderen volljährigen Personen in einem Haushalt leben, ohne eine Partnerschaft i.S.d. Regelbedarfsstufe 2 (Ehe, eingetragenen Lebenspartnerschaft oder eheähnliche bzw. partnerschaftsähnliche Gemeinschaft) zu bilden. Die Leistungsträger hatten den Regelbedarf nach Stufe 3 gewährt.
Das BSG hob die Entscheidungen der Vorinstanz auf und verwies den Rechtsstreit zurück (23.7.2014 – B 8 SO 14/13, B 8 SO 12/13 R und B 8 SO 31/12 R). Es vertritt die Auffassung, dass behinderte Menschen, die sich nach ihren Möglichkeiten (im Rahmen ihrer körperlichen und geistig-seelischen Kräfte) an der Haushaltsführung beteiligen, grundsätzlich Anspruch auf Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 haben. Für die Zuordnung zur Stufe 1 sei es nicht erforderlich, dass der Betroffene den Haushalt ganz oder im Wesentlichen allein führt, es genüge ein gemeinsamer Haushalt mit einer anderen erwachsenen Person. Ein solches Verständnis von "Haushaltsführung" lege bereits der Wortlaut der Norm nahe. Aus der Systematik des Gesetzes und seinem Zweck sowie der Erstehungsgeschichte der Vorschriften folge eine entsprechende Auslegung vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 GG zudem zwingend. Das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG erschöpfe sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr könne eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs-/Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein.
Eine andere Auslegung verstoße ferner gegen Völkerrecht und zwar gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 – in der Bundesrepublik in Kraft seit dem 26.3.2009.
Das BSG leitet das Ergebnis seiner Auslegung auch aus der gesetzlichen Vermutung in § 39 S. 1 Hs. 1 SGB XII ab, wonach Personen, die gemeinsam in einer Wohnung leben, gemeinsam wirtschaften und damit eine Haushaltsgemeinschaft bilden. Allein aus dem Sachverhalt des gemeinsamen Wohnens ist der Schluss auf das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zu ziehen, in der auch gemeinsam gewirtschaftet wird (vgl. Lenze SozSich 2015, 148 ff.).
Hinweise:
- Der Senat hat inzwischen in weiteren Entscheidungen an seiner Rechtsprechung festgehalten (24.3.2015 – B 8 SO 5/14 R, 9/14 R).
- Das BMAS hat u.a. mit Erlass vom 8.8.2014 und späterem Schreiben zunächst die Nichtanwendung der Umsetzung der vorerwähnten BSG-Rspr. angeordnet. Nach heftiger öffentlicher Reaktion lenkt das Ministerium nun ein und beabsichtigt, die Urteile umzusetzen. Aufgrund der Urteile können bis zum Jahresende Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII gestellt werden. Nachzahlungsbeträge sind gem. § 44 Abs. 1 SGB I mit 4 % zu verzinsen, sie sind nicht als Einkommen anzurechnen, § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII und richtigerweise auch nicht als Vermögen, § 90 Abs. 3 SGB XII.
- Im SGB II erhalten volljährige Leistungsbezieher, die noch bei ihren Eltern im Haushalt leben, ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelbedarf der Stufe 1, § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II. Dass dies erst ab dem 25. Lebensjahr erfolgt, beruht auf dem Ziel des SGB II-Gesetzgebers einer Verfestigung von Arbeitslosigkeit bei unter 25-jährigen entgegenzuwirken, so durch – was verfassungsrechtlich zweifelhaft ist (Berlit in: Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl. § 23, Rn. 83) – schärfere Sanktionen (§ 31a Abs. 2 SGB II) und die Verpflichtung, den Auszug aus dem elterlichen Haushalt vorher vom Jobcenter genehmigen zu lassen, § 20 Abs. 3 SGB II.