Der ehemalige Präsident des BVerfG, Hans-Jürgen Papier, hat sich für die Abschaffung des steuerlichen Solidaritätszuschlags ausgesprochen. In einem öffentlichen Fachgespräch des Finanzausschusses des Bundestags Ende Juni erklärte Papier, der Solidaritätszuschlag sei mit dem Ende des Solidarpakts II verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. Die Mehrheit der übrigen Sachverständigen sprach sich ebenfalls für die Abschaffung des Steuerzuschlags aus.
Derzeit liegen dem Bundestag zwei Gesetzentwürfe aus den Fraktionen vor, die das Ende des Solidaritätszuschlags vorsehen. Begründet werden sie u.a. mit der Verfassungswidrigkeit des Zuschlags. Der vor 23 Jahren angegebene Zweck der Sicherung des einigungsbedingten Mittelbedarfs des Bundes sei inzwischen weggefallen. Daher sei die Verfassungsmäßigkeit nicht mehr gegeben, weil der Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe eine dauerhafte und immerwährende Erhebung dieser Steuer verbiete.
Des Weiteren wird die Abschaffung des Soli damit begründet, dass den Bürgern bei seiner Einführung versprochen worden sei, er werde nur befristet erhoben. Das unbefristete Solidaritätszuschlaggesetz sei 1995 mit der Begründung erlassen worden, dieses "finanzielle Opfer" sei zur Finanzierung der Vollendung der Einheit unausweichlich. Mittelfristig sei eine Überprüfung zugesagt worden. Der zur Vollendung der deutschen Einheit aufgelegte Solidarpakt II laufe 2019 aus, so dass auch die Legitimation des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 spätestens zu diesem Zeitpunkt wegfalle.
Prof. Papier stützte diese Auffassung: Aus Gründen der rechtsstaatlich gebotenen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sollte der Gesetzgeber selbst den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustands vermeiden und das Gesetz mit Wirkung zum 1.1.2020 aufheben. Die finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Sonderlage einer besonderen Aufbauhilfe zugunsten der neuen Länder könne als eindeutig beendet betrachtet werden. Papier erteilte auch den Plänen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eine Absage, den Zuschlag allmählich abzuschmelzen: "Auf jeden Fall stellt es keine verfassungsrechtlich zulässige Übergangsregelung dar, sollte der Solidaritätszuschlag zum 1.1.2020 nur für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entfallen, im Übrigen aber noch weitere Jahre in vollem Umfang erhoben werden." Auf Nachfragen erklärte der frühere Verfassungsgerichtspräsident, beim Festhalten am Solidaritätszuschlag sehe er die "Gefahr eines Verlustes von Vertrauen in den Rechts- und Verfassungsstaat". Die Leute würden den Eindruck bekommen, die Politik mache, was sie wolle und würde die Bürger unfair behandeln.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Bund der Steuerzahler argumentierten in dem Fachgespräch ähnlich wie Papier und halten eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags ebenfalls für verfassungsrechtlich geboten. Die von der Koalition geplante Teilabschaffung ab 2021 sei aus verfassungsrechtlicher Sicht "höchst problematisch".
Es gab jedoch auch Gegenstimmen. So hielt der Trierer Universitätsprofessor Henning Tappe die Abschaffung nicht für verfassungsrechtlich geboten. Politisch sei sie gleichwohl möglich. Eine schrittweise Entlastung, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, sah Tappe als verfassungsrechtlich zulässig an. Der Gesetzgeber habe bei der Tarifgestaltung von Steuern einen weitreichenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, die er politisch auch durch Kompromisslösungen oder durch schrittweises Vorgehen lösen könne.
Auch Prof. Karl-Georg Loritz von der Universität Bayreuth argumentierte, mit dem Ende des Solidarpakts II falle der Finanzierungsbedarf nicht zwingend und gleichsam automatisch weg. Der Zuschlag müsse aber mit einer neuen Rechtfertigung unterlegt werden.
[Quelle: Bundestag]