Die Anzahl der in Deutschland in Kanzleien tätigen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen geht deutlich zurück, dagegen nehmen immer mehr Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen die Möglichkeit wahr, sich als Syndikusrechtsanwälte/Syndikusrechtsanwältinnen für die Tätigkeit in Unternehmen und Verbänden zuzulassen. Dies führt zu einer deutlichen Veränderung der Anwaltslandschaft und dazu, dass die Zahl der Kanzleien auf dem Land weiter zurückgeht. Nur dadurch steigt insgesamt die Zahl der Mitglieder der 27 regionalen Rechtsanwaltskammern (die Anwaltskammer beim BGH kann hier vernachlässigt werden) leicht an. Dies ergibt eine Auswertung der Statistiken der Bundesrechtsanwaltskammer ( https://www.brak.de/fuer-journalisten/zahlen-zur-anwaltschaft/ ).
Die Zahl der in Kanzleien niedergelassenen Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen sinkt demnach im zweiten Jahr in Folge deutlich. Waren es zum 1.1.2017 noch 154.711 Anwältinnen und Anwälte, so sank die Zahl zum 1.1.2019 auf noch 148.223, was einem Rückgang um 6.488 oder immerhin um 4,2 % entspricht. Es handelt sich dabei um Nettozahlen, von den Neuzulassungen wurden die Abgänge abgezogen. Berücksichtigt man dies, so kann man schätzen, dass in den Jahren 2017 und 2018 um die 12.000 bis 14.000 Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen – zum größten Teil freiwillig – auf ihre Zulassung verzichtet haben. Eine Ursache ist sicherlich, dass Etliche sich nicht mehr mit der passiven Nutzungspflicht (§ 31a BRAO) des besonderen elektronischen Postfachs (beA) auseinandersetzen wollten und daher eher als geplant ihre oftmals nur noch geringfügig ausgeübte Tätigkeit beendet haben. Aber gerade in den Bereichen der kleinen Kammern zeigt sich, dass der Zulassungsverzicht auch immer häufiger aus wirtschaftlichen Gründen geschieht, weil vernünftige Umsätze nicht (mehr) zu erzielen sind.
So haben alle fünf Kammern in den ostdeutschen Ländern einen spürbaren Rückgang ihrer Mitglieder zu verzeichnen: Nimmt man nur die Zahl der niedergelassenen Anwälte/Anwältinnen (die Syndikusrechtsanwälte spielen dort kaum eine Rolle) sank die Zahl von 2017 zu 2019 von 12.097 auf 11.502 Anwälte, was einem Rückgang von 4,9 % (595 Anwälte) entspricht. Zuwächse haben nur die großen Kammern wie München, Frankfurt und Berlin zu verzeichnen, dies aber auch nur aufgrund der erheblichen Bedeutung der Syndikusrechtsanwälte in diesen Städten.
So stieg insgesamt die Zahl der Syndikusrechtsanwälte/Syndikusrechtsanwältinnen (seit dem 1.1.2016 gibt es die Möglichkeit dieser eigenen Zulassung) von 2017 bis 2019 um 75 % von 9.695 auf 16.876. Enthalten sind darin sowohl in Unternehmen tätige Anwälte/Anwältinnen, die auch noch als niedergelassene Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen zugelassen sind, die meist aber nur in eingeschränktem Umfang in einer eigenen Kanzlei tätig sind, als auch "reine Syndikusrechtsanwälte", die nur ihre Zulassung für eine anwaltliche Tätigkeit bei ihrem Arbeitgeber haben. Von 2017 bis 2019 hat sich deren Zahl verdreifacht, von 957 auf jetzt 2.864.
Insgesamt sind also 10 % aller Anwälte für ihre Tätigkeit in einem Unternehmen oder Verband zugelassen. Berücksichtigt man dabei, dass die Syndikuszulassung lange noch nicht alle in Unternehmen tätigen Anwälte beantragen mussten, weil sich bei vielen von ihnen (meist aufgrund einer bestehenden Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 SGB VI zugunsten der anwaltlichen Versorgungswerke) noch keine Notwendigkeit ergab, so kann man schätzen, dass 25 % der Anwaltschaft in Unternehmen – mittlerweile auch nach der Rechtsprechung – im öffentlichen Dienst (solange keine hoheitliche Tätigkeit ausgeübt wird) und in Verbänden tätig ist. Wobei hier der Frauenanteil besonders hoch ist.
Beobachtet man die neu zugelassenen Anwältinnen und Anwälte, so beginnen die meisten ihre Berufstätigkeit im Angestelltenverhältnis, egal ob in einer Kanzlei oder bei einem "nichtanwaltlichen Arbeitgeber". Dies bleibt, so zeigt die Entwicklung auch, lange, wenn nicht sogar das ganze Berufsleben, so. Denn die Bereitschaft als klassischer Freiberufler, Verantwortung als Inhaber oder Teilhaber zu übernehmen, sinkt deutlich. Viele Anwälte bleiben gerne angestellt, auch wenn im Laufe des Berufslebens oft Beteiligungen am Umsatz oder Gewinn hinzukommen.
Insgesamt, so kann man schätzen, sind in den Kanzleien 75 % der Anwälte und Anwältinnen angestellt, nur noch 25 % tragen die wirtschaftliche Verantwortung. Der freie Beruf ist also in den vergangenen 10 Jahren zunehmend ein Berufsstand geworden, der von angestellten Mitgliedern geprägt wird. In das öffentliche Bewusstsein ist dies noch nicht vorgedrungen, ebenso wenig wie der Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Rechtsanwälte. Inwieweit die Vorschriften des Berufsrechts hier angepasst werden müssen, dies muss der Berufsstand noch diskutieren.
Autor: Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln
ZAP F., S. 779–780