Derjenige Rechtsanwalt, dessen Vergütung entweder gar nicht oder nicht in voller Höhe durch einen von ihm geforderten Vorschuss nach § 9 RVG gedeckt ist, steht häufig vor der Situation, dass sein Mandant nach Beendigung des Mandats keinen gesteigerten Wert darauf legt, die angefallene und fällige Anwaltsvergütung zu zahlen. In diesem Fall kann der Rechtsanwalt, der in einem gerichtlichen Verfahren tätig war, das Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 11 RVG gegen seinen Auftraggeber betreiben. Als weitere Möglichkeit bleibt dem Rechtsanwalt, sein Honorar gegen den Mandanten einzuklagen. Dies erfordert jedoch einen weiteren Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts und – bei der Honorarklage – den Aufwand von weiteren Kosten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob dem Rechtsanwalt nicht ein Druckmittel zur Verfügung steht, um den zahlungsunwilligen Mandanten doch noch ohne gerichtliche Hilfe zur Zahlung der fälligen Anwaltsvergütung zu bewegen.
Ein besonders gutes Druckmittel hat der Rechtsanwalt zur Verfügung, wenn er für seinen Mandanten i.R.d. Mandats einen Vollstreckungstitel erwirkt hat und wenn er diesen Titel im Besitz hat.
1. Gesetzliche Regelung
Unter den besonderen in § 50 Abs. 3 BRAO geregelten Voraussetzungen kann dem Rechtsanwalt insoweit ein Zurückbehaltungsrecht zustehen, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 50 BRAO in jüngerer Zeit geändert worden ist.
- Nach § 50 Abs. 3 S. 1 BRAO in der bis zum 17.5.2017 geltenden Fassung konnte der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt war. Was unter den Begriff der Handakten fällt, war in § 50 Abs. 4 BRAO a.F. geregelt. Danach sind Handakten nur die Schriftstücke, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat. Hierzu gehören jedoch nicht der Briefwechsel zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber und die Schriftstücke, die dieser bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat
- In der seit dem 18.5.2017 geltenden Fassung des § 50 Abs. 3 BRAO heißt es, dass der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber die Herausgabe der Dokumente nach Abs. 2 S. 1 so lange verweigern darf, bis er wegen der ihm vom Auftraggeber geschuldeten Gebühren und Auslagen befriedigt ist. In dem in Bezug genommenen § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO n.F. sind Dokumente aufgeführt, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat.
- In beiden Gesetzesfassungen besteht das Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts nicht, soweit die Vorenthaltung der Handakten bzw. der Dokumente nach den Umständen unangemessen wäre.
2. Grundsätzlich besteht eine Herausgabepflicht des Rechtsanwalts
Der Anwaltsdienstvertrag ist ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.v. § 675 BGB. Somit gilt auch die Regelung des § 667 BGB, wonach der Beauftragte (also der Anwalt) verpflichtet ist, dem Auftraggeber (also dem Mandanten) alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. Diese zivilrechtliche Herausgabepflicht, die den Anwalt im Rahmen seiner Berufsausübung trifft, kann i.V.m. § 43 BRAO daneben auch eine Berufspflicht sein, wenn es sich um grobe Verstöße handelt, die die äußere Seite der Anwaltstätigkeit betreffen und mit einer gewissenhaften Berufsausübung und mit der Stellung des Rechtsanwalts nicht mehr vereinbar sind (BGH AnwBl. 2015, 178 = BRAK-Mitt. 2015, 39). Der BGH hat in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass auch die Verweigerung der Herausgabe der Handakten ohne rechtfertigenden Grund eine solche Berufspflichtverletzung darstellen kann, weil hierdurch in erheblichem Maße die Achtung und das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Integrität des Berufsstands gefährdet werde.
3. Voraussetzungen des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts
Die Regelung in § 50 Abs. 3 S. 1 BRAO gewährt dem Anwalt in bestimmten Fällen ein Zurückbehaltungsrecht, das ein Sonderrecht zugunsten des Rechtsanwalts darstellt und dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB als lex specialis vorgeht (s. BT-Drucks 18/9521, S. 67; s. auch AGH Celle RVGreport 2020, 190 [Hansens]). Dieses anwaltliche Zurückbehaltungsrecht erspart dem Anwalt in vielen Fällen, seine berechtigten Ansprüche auf Zahlung seiner Vergütung gegen den Mandanten gerichtlich geltend machen zu müssen. Die Regelung eines solchen Zurückbehaltungsrechts in der BRAO macht nur dann Sinn, wenn man gleichzeitig für den Normalfall von einer berufsrechtlichen Herausgabepflicht des Anwalts ausgeht (so BGH AnwBl. 2015, 178 = BRAK-Mitt. 2015, 39). Der BGH (a.a.O.) hat darauf hingewiesen, dass das Zurückbehaltungsrecht als Ausnahme von einer vorausgesetzten berufsrechtlichen Verpflichtung zur Herausgabe der Handakten ausgestaltet worden ist. Dies’hat der BGH auch aus der Begriffsbestimmung der Handakten in § 50 Abs. 4 BRAO a.F. (jetzt § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO n.F.) gefolgert, weil diese Regelung ersichtlich den Zweck hat, den Umfang der berufsrechtlichen Herausgabepflicht zu konkretisieren.
a) Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts
Gegenstand des anwaltlich...