a) Allgemeines
Den weiteren Ablauf der Hauptverhandlung, wenn ein Ablehnungsantrag gestellt worden ist, regelt § 29 StPO. Bis zum Inkrafttreten des "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens" v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2121) durfte ein Richter, der wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war, gem. § 29 Abs. 1 S. 1 StPO a.F. grds. nur solche Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatteten. Ausnahmen waren vorgesehen, wobei die StPO zwischen Befangenheitsanträgen vor Beginn der Hauptverhandlung (§ 29 Abs. 1 S. 2 StPO) und solchen während der Hauptverhandlung (§ 29 Abs. 2 StPO a.F.) unterschieden hat. Dieses Regelungsgefüge ist durch das "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens" v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2121) grundlegend geändert worden. § 29 StPO enthält jetzt folgende Regelungen (dazu a. Burhoff StRR 6/2020, 6 und VRR 2/2020, 4; Kampmann HRRS 4/2020, 182; Schork NJW 2020, 1, 2; Meyer-Goßner/Schmitt, § 29 Rn 1 ff.; zum Sinn und Zweck der Neuregelung BT-Drucks 19/14747, S. 23; zur Kritik Kampmann, a.a.O.):
b) Unaufschiebbare Handlungen/Teilnahme an der Hauptverhandlung
§ 29 Abs. 1 StPO verbietet die Vornahme aufschiebbarer Handlungen in Übereinstimmung mit dem früheren Recht auch weiterhin. Unaufschiebbar sind solche Handlungen, die wegen ihrer Dringlichkeit nicht warten können, bis ein Ersatzrichter eintritt (BGHSt 48, 264; BGH NStZ 2002, 429). Aufschiebbare, aber dennoch ausgeführte Prozesshandlungen eines wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richters sind nicht unwirksam (BGHSt 48, 264; OLG Hamm NStZ 1999, 530 [Ls.]; dazu [für den EÖB] OLG Frankfurt a.M. StV 2001, 496; LG Ingolstadt, Beschl. v. 19.3.2010 – 2 Qs 24/20, StV 2020, 460 [Ls.]), müssen also ggf. angefochten werden.
§ 29 Abs. 2 S. 1 StPO bestimmt, dass die Teilnahme des Richters an der Hauptverhandlung als unaufschiebbar gilt. Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können, dürfen weiterhin nur dann unter Mitwirkung des abgelehnten Richters getroffen werden, wenn sie keinen Aufschub gestatten (§ 29 Abs. 2 S. 2 StPO). Die Geltung dieser (Neu-)Regelung ist unbeschränkt. Sie gilt also für die Mitwirkung des abgelehnten Richters an der Hauptverhandlung unabhängig davon, ob diese im Zeitpunkt der Anbringung des Ablehnungsgesuchs bereits begonnen hatte (dazu BT-Drucks 19/14747, S. 23; Meyer-Goßner/Schmitt, § 29 Rn 9). Damit erfasst sie insb. auch den im früheren Recht in § 29 Abs. 1 S. 2 StPO a.F. geregelten Fall, dass der Vorsitzende oder das Gericht bereits vor Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 29 Rn 11; wegen der Einzelh. Burhoff, HV, Rn 147 ff.). Auch in dem Fall sind Beginn und Durchführung der Hauptverhandlung unter Beteiligung der abgelehnten Richter bis zu dem in § 29 Abs. 3 StPO geregelten Zeitpunkt ohne die Beschränkung aus § 29 Abs. 1 StPO möglich (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; Burhoff, EV, Rn 59 ff.).
Hinweis:
Aus § 29 Abs. 2 S. 1 StPO folgt aber nicht, dass eine bereits anberaumte, aber noch nicht begonnene Hauptverhandlung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters tatsächlich durchgeführt werden muss (s.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 29 Rn 11 f.).
Auch eine Verlegung des Beginns der Hauptverhandlung auf einen Zeitpunkt nach der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch bleibt möglich, sofern nicht andere Gründe – etwa der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen – die Durchführung der Hauptverhandlung gebieten (BT-Drucks 19/14474, S. 23).
Die Entscheidung, auch in diesen Fällen eine/die Hauptverhandlung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters durchzuführen, ist eine Maßnahme der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden. Im Hinblick auf § 338 Abs. 8 StPO muss der Verteidiger nach § 238 Abs. 2 beanstanden (BGH NStZ 2002, 429).
c) Spätester Zeitpunkt der Entscheidung
§ 29 Abs. 3 StPO regelt den spätesten Zeitpunkt der Entscheidung über den Ablehnungsantrag. Danach muss die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch spätestens vor Ablauf von zwei Wochen erfolgen. Diese Frist ist unabhängig davon, ob innerhalb dieser zwei Wochen mehrere weitere Verhandlungstage stattfinden oder nicht. Die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch muss aber so schnell wie möglich ergehen; die Frist von zwei Wochen darf daher, wie sich aus dem Begriff "spätestens" ergibt, nur ausgeschöpft werden, wenn dies aufgrund des Verfahrensablaufs nicht anders möglich ist (dazu BT-Drucks 19/14747, S. 24; Meyer-Goßner/Schmitt, § 29 Rn 19 "Maximalfrist"; Burhoff StRR 6/2020, 6, VRRâEUR™2/2020, 4). Das wird nur in Ausnahmefällen der Fall sein.
Eine Ausnahme (dazu BT-Drucks 19/14747, S. 24 f.) von der Zweiwochenfrist ist in § 29 Abs. 3 S. 3 StPO enthalten. Danach kann über das Ablehnungsgesuchs auch noch am übernächsten Hauptverhandlungstag nach Fristbeginn entschieden werden (s.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 29 Rn 25).
Den spätesten Zeitpunkt der Entscheidung regelt § 29 Abs. 3 S. 1 StPO. Danach muss "spätestens vor Urteilsverkündung" entschieden werden. Über das Ablehnungsgesuch kann also noch unmittelbar vor Urteilsverkündung entschieden werden (s.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 29 Rn 20). Allerdings ist zu beachten, dass es sich...