I. Allgemeines
Ein Richter kann nach § 24 Abs. 1 StPO sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen ist Ausfluss des sich aus Art. 102 Abs. 1 S. 2 GG ergebenden Rechts auf den gesetzlichen Richter. Das ist nicht gewahrt, wenn am Verfahren ein Richter teilnimmt, der z.B. wegen naher Verwandtschaft, Freundschaft oder Verfeindung die gebotene Unvoreingenommenheit vermissen lässt (BVerfG NJW 1971, 1029). Der Gesetzgeber hat daher dafür Sorge getragen, dass die Richterbank von Richtern freigehalten wird, die einem Beschuldigten nicht mit der erforderlichen Distanz gegenüberstehen. Diesem Zweck dienen die Vorschriften der §§ 22 ff. StPO über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (BVerfG MDR 1978, 201).
Hinweis:
Die §§ 22 ff. StPO sind über §§ 46, 71 OWiG auch im Bußgeldverfahren anwendbar (zur Ablehnung im OWi-Verfahren Niehaus in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn 1 ff.).
Nach den §§ 22 ff. StPO kann der Richter abgelehnt werden wegen Besorgnis der Befangenheit und in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Der Unterschied von Ausschluss und Ablehnung wegen Befangenheit liegt darin, dass der Ausschluss eines Richters von der Mitwirkung bei einer Entscheidung kraft Gesetzes eintritt. Eine entsprechende Feststellung des Gerichts hat nur deklaratorischen Charakter, während im Fall der Befangenheit die Entscheidung konstitutiv wirkt und erst die Entscheidung selbst zum Ausschluss des Richters von der Mitwirkung bei der Entscheidung führt.
Die verfahrensrechtlichen Regelungen in den §§ 24 ff. StPO sind durch die letzten strafverfahrensrechtlichen Reformen, nämlich das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" v.âEUR™17.8.2017 (BGBl I, S. 3202), das "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens" v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2121) und das "Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a." v. 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) mehrfach geändert worden. Ziel dieser Änderungen war letztlich jeweils immer eine Verschärfung/Erschwerung des Ablehnungsrechts zur Beschleunigung des Verfahrens, auch wenn die Namen der Änderungsgesetze anderes anzeigen wollen. Wegen der Einzelheiten der Änderungen wird verwiesen auf VI. und VII.
II. Verteidigungstaktische Vorüberlegungen
Stellt sich im Verfahren die Frage, ob ein Ablehnungsantrag gestellt werden soll, muss sich der Verteidiger/Rechtsanwalt mit seinem Mandanten auf jeden Fall beraten. Denn das Ablehnungsrecht ist ein Recht des Angeklagten, nicht des Verteidigers (§ 24 Abs. 2 StPO; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 16 ff. m.w.N. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 81 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]). Der Verteidiger muss den Mandanten einerseits auf das Kostenrisiko eines erfolgreichen Antrags hinweisen, wenn die Hauptverhandlung ggf. ausgesetzt und neu begonnen werden muss. Andererseits muss er ihn belehren, dass der Ablehnungsantrag darüber hinaus sowohl von Vorteil als auch von Nachteil sein kann. Denn der Mandant muss bei seiner Entscheidung berücksichtigen, dass der Erfolg eines Ablehnungsgesuchs einerseits zwar häufig den Ausgang des Verfahrens entscheidend beeinflussen kann, andererseits aber der (erfolglose) Ablehnungsantrag ebenso häufig die Stimmung in der Hauptverhandlung nachteilig verändert. Richter, insb. ehrenamtliche Richter, empfinden den Antrag nämlich meist (immer noch) als persönlichen Angriff auf ihre Integrität. Auch ist der – erfolglos abgelehnte – Richter nach einem solchen Antrag vermittelnden Gesprächen durchweg nicht mehr zugänglich. Diesen Gefahren muss der Verteidiger u.a. dadurch begegnen, dass er das Mittel der Ablehnung nicht über Gebühr strapaziert, sondern grds. nur in den Fällen einen Ablehnungsantrag stellt bzw. seinem Mandanten rät, einen zu stellen, in denen er keine andere Wahl mehr hat, als so zum Ausdruck zu bringen, dass eine vorurteilsfreie Überzeugungsbildung in dem laufenden Verfahren offensichtlich nicht mehr möglich ist.
Hinweis:
Zudem muss der Verteidiger den Antrag selbst maßvoll, sachlich und ohne persönliche Angriffe gegen den abgelehnten Richter formulieren (Burhoff, HV, Rn 67).
III. Anwendungsbereich
1. "Ablehnungsziel"
Nach § 24 Abs. 1 StPO können "Richter" abgelehnt werden. Gemeint sind damit die Berufsrichter. Nach § 31 StPO gelten die Vorschriften des 3. Abschnitts der StPO aber nicht nur für Berufsrichter, sondern auch für Schöffen sowie für Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und andere als Protokollführer zugezogene Personen. Die Ablehnung eines Sachverständigen ist in § 74 StPO geregelt, die eines Dolmetschers in § 191 GVG. Da die Ablehnung von Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von geringer praktischer Bedeutung ist, soll auf sie im Nachfolgenden nicht näher e...