1. Begriff der Befangenheit
Befangenheit ist die innere Haltung eines Richters, die seine erforderliche Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinflussen kann (u.a. BGH, NJW 2018, 2578; NStZ 2016, 218; StV 2013, 372; NStZ-RR 2013, 168; Meyer-Goßner/Schmitt, § 24 Rn 8 m.w.N.). Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grds. vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen. Ob der Richter tatsächlich befangen ist, spielt keine Rolle (u.a. BVerfG NJW 2003, 2404; 2012, 3228; StV 1988, 417; BGH NStZ 2008, 117; Krekeler NJW 1981, 1634). Unerheblich ist auch, ob der Richter sich selbst für befangen hält (BVerfG DÖV 1972, 312; BGH NStZ 2017, 720); die Unparteilichkeit wird grds. vermutet (EGMR NJW 2011, 3633).
Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist nach § 24 Abs. 2 StPO nur gerechtfertigt, wenn der Beschuldigte aufgrund des ihm bekannten Sachverhalts auch bei verständiger Würdigung der Sache Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne. Für das Ablehnungsbegehren müssen vernünftige Gründe vorgebracht werden, die jedem unbeteiligten Dritten einleuchten. Es kommt also auf einen vernünftigen Ablehnungsberechtigten an (BVerfG NJW 2010, 669; u.a. BGH NJW 1968, 710; NJW 2006, 708, 2014, 2372; StV 2019, 49 [Ls.]; StraFo 2018, 428). Maßgeblich ist eine objektive Betrachtung der Sachlage (BGH NStZ 2020, 495).
Die eigentlichen Ablehnungsgründe sind in der Generalklausel "wegen Besorgnis der Befangenheit" zusammengefasst und nicht wie bei den Ausschließungsgründen (vgl. § 22 StPO) enumerativ aufgezählt. Daher hat sich zur Frage der Befangenheit eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt, die in vier große Gruppen, nämlich die persönlichen Verhältnisse, das eigene Verhalten des Ablehnenden, die Vortätigkeit des Richters und das Verhalten oder Äußerungen des Richters eingeteilt werden kann (wegen der Einzelh. und umfangreicher Rechtsprechungsnachweise Burhoff, EV, Rn 23 ff.; Burhoff, HV, Rn 86 ff.).
2. Persönliche Verhältnisse
Die persönliche Verhältnisse des Richters bzw. zwischen ihm und dem Angeklagten, dem Verletzten (zum Begriff § 373b StPO und dazu Burhoff, EV, Rn 4701; Burhoff, HV, Rn 3631) oder auch einem Zeugen können die Ablehnung begründen, wenn deshalb die Besorgnis begründet ist, dass er nicht unvoreingenommen an die Sache herangehen wird (Meyer-Goßner/Schmitt, § 24 Rn 15 m.w.N.). Das kann z.B. bei einer Ehe (für das Zivilverfahren BGH NJW-RR 2020, 633), Verlobung oder enger Freundschaft oder einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (Burhoff StRR 2008, 287, 290; OVG Bremen NJW 2015, 2828) in Betracht kommen. Insbesondere in diesen Fällen ist aber ggf. eine Gesamtschau vorzunehmen (BGH StV 2013, 372; KG NJWâEUR™2009, 96; OLG Düsseldorf NJW 2010, 1158 [Ls.]). Das gilt insb. auch für die Ehe zwischen Richter undâEUR™sachbearbeitendem Staatsanwalt (Ellbogen/Schneider JR 2012, 188; AG Kehl NStZ-RR 2014, 224 [Ls.;âEUR™Befangenheit im Bußgeldverfahren, wenn StA und Richterin verheiratet sind]; s. aber AG Kehl, Beschl. v. 16.12.2020 – 5 OWi 505 Js 15819/20 [nicht, wenn der StA nur das dem Bußgeldverfahren vorhergehende Strafverfahren geführt hat]).
Fraglich ist, inwieweit das persönliche Verhältnis zwischen Verteidiger und Gericht den Angeklagten ggf. zur Ablehnung berechtigt. Die h.M. geht davon aus, dass das nur dann der Fall ist, wenn der Beschuldigte/Angeklagte davon ausgehen muss, dass das Gericht seine ggf. gegenüber dem Verteidiger bestehende Animosität auch auf den Beschuldigten/Angeklagten überträgt (vgl. z.B. BGH StV 1993, 339; NStZ 2020, 495 für Schöffin, deren Ehemann im Scheidungsverfahren von der Kanzlei der Verteidigerin vertreten worden ist; die weit. Nachw. bei Burhoff, EV, Rn 28; Burhoff, HV, Rn 91; zur Richterablehnung wegen Spannungen zwischen Verteidiger und Richter insb. Rabe AnwBl 1981, 333; Müller NStZ 1995, 380 [Rspr.-Übersicht] und aus neuer Zeit Latz, Festschrift für Christian Richter II, 2006, S. 357 ff.).
3. Eigenes Verhalten des Ablehnenden
Aus seinem eigenen Verhalten kann der Ablehnende grds. keinen Ablehnungsgrund herleiten. Er hätte es sonst in der Hand, sich nach Belieben jedem Richter zu entziehen und die Besetzung der Richterbank zu manipulieren (Meyer-Goßner/Schmitt, § 24 Rn 7 m.w.N.). Es rechtfertigt daher die Ablehnung nicht, dass gegen den Richter eine Strafanzeige wegen angeblicher Rechtsbeugung erstattet ist (BGH NJW 1962, 748 f.), gegen ihn Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben oder ein Disziplinarverfahren beantragt ist. Zur Ablehnung berechtigt es auch nicht, wenn der Richter wegen eines beleidigenden oder provozierenden Verhaltens eines Angeklagten oder seines Verteidigers Strafanzeige erstattet (OLG München NJW 1971, 384; differenzierend BGH NStZ 1992, 290; wegen weiterer Einzelh. Burhoff, EV, Rn 30 ff.; Burhoff, HV, Rn 93 ff.).
4. Vortätigkeit des Richters
Die Vortätigkeit des Richters ist, wenn sie das Gesetz nicht ausdrücklich zu einem Ausschließungsgrund nach den §§ 22, 23 StPO erhoben hat (vgl. IV 3), ...