Der sichere Umgang mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) ist mittlerweile essenziell für jeden Rechtsanwalt und jede Rechtsanwältin. Wird Personal eingesetzt, ist auch dieses ausführlich zu schulen; ansonsten drohen Fehlbedienungen und dadurch bedingte Rechtsverluste. Einen solchen Fall hatte jetzt das Bundessozialgericht zu entscheiden.
Der Fall: Eine Mandantin verlangte von ihrer Krankenkasse höheres Krankengeld bei einem rückabgewickelten Altersteilzeitvertrag. Das Sozialgericht wies die Klage ab. Als Zustellungsdatum des Urteils war auf dem elektronischen Empfangsbekenntnis des Anwalts der 7. Oktober angegeben. Erst am 11. November legte dieser Berufung ein und erklärte die Verspätung damit, eine Auszubildende habe den elektronischen Empfang nach Abruf des Urteils über den Webclient des beA ohne Vorlage und ohne Rücksprache mit ihm abgegeben. Das LSG verwarf allerdings die Berufung wegen Verfristung: Auch das elektronische Empfangsbekenntnis habe ein voluntatives Element, da die Rücksendung weiter vom Willensakt des Adressaten abhängig sei. EinâEUR™solcher sei nach dem Vortrag der Klägerin in der Anwaltskanzlei ihres Prozessbevollmächtigten getroffen worden; auf die tatsächliche Vorlage des Dokuments an ihn komme es dafür nicht an. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil die Klägerin zur Auswahl, Schulung und Überwachung der Auszubildenden nichts vorgetragen habe.
Daraufhin wurde seitens der Klägerin Revision eingelegt und argumentiert, das angegriffene erstinstanzliche Urteil sei dem Prozessbevollmächtigten erst mit dessen tatsächlicher Kenntnisnahme am 11. November zugestellt worden. Die Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses durch Rechtsanwaltsfachangestellte bewirke keine Zustellung (unter Verweis auf BAG, Beschl. v. 23.4.2009 – B 9 VG 22/08 B – 4-1750 § 174 1). Das angerufene BSG folgte dieser Argumentation allerdings nicht.
Der Rechtsanwalt müsse sich die in dem elektronischen Empfangsbekenntnis enthaltene Erklärung zurechnen lassen, entschieden die Kasseler Richter (BSG, Urt. v. 14.7.2022 – B 3 KR 2/21âEUR™R). DieâEUR™Beweiswirkung eines über den sicheren Übermittlungsweg eines beA versandten elektronischen Empfangsbekenntnisses werde ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht allein durch den Vortrag durchgreifend entkräftet, dass es vom Sekretariat des Postfachinhabers unautorisiert übermittelt worden sei. Das besondere Vertrauen in die Authentizität der von Rechtsanwälten über ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach an die Gerichte übermittelten elektronischen Dokumente stütze sich nach der gesetzlichen Konzeption maßgeblich auf die Erwartung, dass dieser Übermittlungsweg von denâEUR™Inhabern des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ausschließlich selbst genutzt werde und demzufolge die das Dokument (nur einfach) signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimme.
Dies beruhe darauf, dass der Postfachinhaber nach der derzeitigen Gesetzeslage das für den Zugang zu seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach erzeugte Zertifikat keiner weiteren Person überlassen dürfe und die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten habe (§ 26 RAVPV). Damit korrespondierend dürfe anderen Personen Zugang zu einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nur gewährt werden über deren (schon vorhandenes) eigenes besonderes elektronisches Anwaltspostfach oder ein vom Postfachinhaber gesondert anzulegendes Zugangskonto, jeweils unter Verwendung des der anderen Person zugeordneten (eigenen) Zertifikats und der zugehörigen Zertifikats-PIN.
Setze sich ein Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs über die Verpflichtung zur ausschließlich eigenen höchstpersönlichen Nutzung durch Überlassung des nur für seinen Zugang erzeugten Zertifikats und der dazugehörigen Zertifikats-PIN an Dritte oder auf andere Weise bewusst hinweg, müsse er sich das von einem Dritten abgegebene elektronische Empfangsbekenntnis auch dann wie ein eigenes zurechnen lassen, wenn die Abgabe ohne seine Kenntnis erfolgt sei. Insoweit liege es anders als bei von Dritten unterschriebenen Empfangsbekenntnissen oder einer durch Faksimile-Stempel hergestellten Unterschrift.
Da das BSG bei dieser Sach- und Rechtslage auch keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erkennen konnte, war die Berufung somit verfristet. Kollegen kann daher nur geraten werden, sich der Gefahren einer Überlassung des eigenen beA-Accounts an Dritte stets bewusst zu sein, zumal es mit Blick auf gesonderte beA-Zugänge für Kanzleiangestellte durchaus zulässige und praktikable Alternativen gibt.
[Quelle: BSG]