Die Bestimmungen der §§ 13-15 SGB I zielen auf eine umfassende und zuverlässige Information der Bürger über ihre Rechte und Pflichten nach dem SGB ab (s. näher Spellbrink in: KassKomm, § 13 Rn 4 ff.). Die Aufklärung nach § 13 SGB I wendet sich an die Allgemeinheit, die hier festgelegten Pflichten sind objektiv-rechtlicher Natur. § 15 SGB I enthält einmal eine objektiv-rechtlich bestehende Auskunftspflicht der in Abs. 1 der Norm genannten Stellen, als auch ein subjektives Recht auf Auskunft mit den in Abs. 2 und 4 der Vorschrift statuierten Vorbehalten. Die bedeutsamste dieser Bestimmungen ist § 14 SGB I, die Beratung über alle im Einzelfall bedeutsamen Rechts- und Sachfragen beinhaltet, teilweise als "Spontanberatung" auch über den eigentlichen Beratungsanlass und den Grund des Kontakts zur Verwaltung hinausgehend.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine umfassende Beratung der Versicherten, und zwar auch durch eine Behörde, die nicht zu dem zuständigen Leistungsträger gehört, die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems. Dabei geht es nicht allein um die Beantwortung von Fragen oder Bitten um Beratung, sondern um die verständnisvolle Förderung der Versicherten: Die Sachbearbeiter haben zu prüfen, ob Anlass dazu besteht, die Versicherten auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit seinem Anliegen verbinden; denn schon gezielte Fragen setzen Sachkunde voraus, über die der Versicherte oft nicht verfügt (BSG, Urt. v. 12.12.2007 – B 12 AL 1/06 R, ebenso, im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs nach § 839 BGB, Art. 34 GG, BGH, Urt. v. 2.8.2018 – III ZR 466/16, NJW 2019, 68, Rn 15, bestätigt durch BGH, Urt. v. 11.3.2021 – III ZR 27/20).
Im Zusammenhang mit Betreuungs- und Beratungspflichten der Sozialleistungsträger (§§ 13-15 SGB I) bzw. im Hinblick mit den aus diesen Vorschriften sich ergebenden Betreuungs- und Beratungsansprüchen der Leistungsberechtigten kommt dem von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch als Korrektiv von Verwaltungsfehlern – wenn das Begehren nicht durch eine ausdrücklich gesetzlich bestimmte Anspruchsnorm erfüllt werden kann – auf dem Gebiet des Sozialrechts eine große Bedeutung zu. Seine Besonderheit folgt daraus, dass durch ihn Folgen beseitigt werden können, die deshalb entstanden sind, weil Berechtigte gebotene Entscheidungen, Handlungen und Gestaltungsmöglichkeiten wegen fehlerhaften Verhaltens (häufig infolge unterbliebener oder unzureichender Beratung in einem bestehenden Sozialrechtsverhältnis (§ 14 SGB I, s.o.)) der Verwaltung unterlassen bzw. nicht wahrgenommen haben (vgl. z.B. Gagel, SGb 2000, 517). Es handelt sich demnach bei dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Sache nach um einen materiellen Anspruch i.S. eines Folgenbeseitigungsanspruchs auf dem Gebiet des Sozialrechts. Da er durch fehlerhaftes Verhalten der Verwaltung ausgelöst wird, rechtfertigt sich seine Darstellung i.R.d. Verfahrensrechts.
Der Herstellungsanspruch ist auf dem Gebiet des Sozialrechts ein Korrektiv für Folgen von Verwaltungsfehlern. Er ist gerichtet auf die Verpflichtung des Leistungsträgers, die bei den Betroffenen kausal eingetretenen negativen Folgen dadurch auszugleichen, dass er hinsichtlich seiner Leistungsansprüche so gestellt wird, als wäre sein Handeln nicht durch Verwaltungsfehler beeinflusst worden. Ein Herstellungsanspruch setzt voraus:
- Ein objektiv rechtswidriges, nicht notwendig schuldhaftes Verhalten eines Sozialleistungsträgers;
- Eine darauf (wesentlich) beruhende, nachteilige Disposition der Berechtigten;
- Das Verhalten des Leistungsträgers und die Disposition der Betroffenen führen bei diesen zu einem Nachteil/Schaden (so werden Leistungen erst zu einem späteren Zeitpunkt, in einer zu geringen Höhe bezahlt (s. ferner Beispiele bei Spellbrink in: KassKomm, Vorbem. zu §§ 13-15 SGB I, Rn 26);
- Es muss die rechtliche Möglichkeit bestehen, die Nachteilssituation durch verwaltungsinternes Handeln, also durch eine rechtlich zulässige Amtshandlung auszugleichen (zu dieser ausführlich, mit zahlreichen Rechtsprechungsbeispielen, Spellbrink in: KassKomm, Stand Juli 2020, vor §§ 13-15 SGB I, Rn 31 ff.).
Hinweise:
1. Die Verletzung von Beratungs- und Betreuungspflichten von Sozialleistungsträgern ist auch im Hinblick auf den Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB Art. 34 GG von Bedeutung (s. BGH, Urt. v. 11.3.2021 – III ZR 27/20, hierzu Voelzke, jM 2021, 453). Dieser Anspruch ist gerichtet auf Geldersatz (§ 249 BGB). Er ist vor dem Landgericht geltend zu machen (Art. 34 Abs. 3 GG i.V.m. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG). Wenn und soweit eine Herstellung (s.o.) im Rahmen einer erforderlichen zulässigen Amtshandlung nicht oder nur teilweise möglich ist, steht nur der Amtshaftungsanspruch zur Verfügung.
2. Den Geschädigten steht es frei, welches Instrument sie wählen. Insbesondere ist der Amtshaftungsanspruch nicht nach § 839 Abs. 3 BGB subsidiär (hiernach tritt keine Ersatzpflicht e...