Zur Bestimmung dessen, was von dem gestellten Antrag umfasst wird, ist dieser gem. §§ 133, 157 BGB analog auszulegen. Der Leistungsträger darf nicht nur auf den Wortlaut der Erklärung abstellen, sondern hat nach § 2 Abs. 2 H. 2 SGB I davon auszugehen, dass die Berechtigten alle die Leistungen begehren, die ihnen den größten Nutzen bringen können ("Meistbegünstigungs- oder Günstigkeitsprinzip") (vgl. etwa BSG, Urt. v. 26.8.2008 – B 8/9b SO 18/07 R, SGb 2009, 620 m. Anm. Löcher und BSG, Urt. v. 22.3.2010 – B 4 AS 62/09 R, Hänlein, Kommentar zum Sozialrecht SGB §§ 1-10 Rn 25; zum SGB II s. Silbermann in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 37 Rn 32 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn Berechtigte ihren Antrag (vermeintlich) auf eine bestimmte Leistung beschränken (s. Kommentar zum Sozialrecht/Fichte, § 43 SGB X, Rn 32 m.w.N.).
Der Meistbegünstigungsgrundsatz gilt grds. ebenso für den Antrag beim unzuständigen Leistungsträger nach § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I. Somit ist ein Antrag umfassend, d.h. auf alle nach Lage des Falls in Betracht kommenden Leistungen hin zu prüfen. So kann ein Antrag auf Arbeitslosengeld zugleich als Antrag auf Arbeitslosengeld II ausgelegt werden (dies gilt nicht, wenn der Antrag trotz Belehrung der BA über weitergehende Ansprüche nach dem SGB II ausdrücklich auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III beschränkt wird, vgl. BSG, Urt. v. 2.4.2014 – B 4 AS 29/13 R), ein Antrag auf Arbeitslosengeld II auch als Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe und umgekehrt (BSG, Urt. v, 26.8.2008 – B 8/9b SO 18/07 R) und ein Antrag auf Kindergeldzuschlag nach § 6a BKGG als solcher auf Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urt. v. 10.5.2011 – B 4 KG 1/10 R).
Formerfordernisse für die Antragstellung bestehen i.d.R. nicht (vgl. § 9 SGB X; zu Ausnahmen s. etwa § 9 BKGG, § 7 BEEG und § 46 Abs. 1 BaföG). Auch (fern-)mündlich gestellte Anträge und solche in elektronischer Form (E-Mail) reichen aus. Da Schriftform nicht generell vorgeschrieben ist, kann auch ein nicht unterschriebener Antrag wirksam sein.
Zudem hängt eine wirksame Antragstellung nicht von einer Verpflichtung ab, bestimmte Antragsvordrucke zu benutzen. Somit darf die Behörde nicht formlose Anträge oder unvollständig ausgefüllte Antragsvordrucke zurückweisen. Dies verstieße gegen die Pflicht zur Informationsentgegennahme gem. § 20 Abs. 3 SGB X. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob i.R.v. Mitwirkungspflichten (§§ 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 60 Abs. 2 SGB I) die Benutzung von Antragsvordrucken geboten sein kann.
Die Leistungsträger sind zudem verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden (§ 16 Abs. 3 SGB I). Damit ist die gelegentlich zu beobachtende Praxis von Leistungsträgern unvereinbar, (vermeintlich) unvollständig ausgefüllte Anträge nicht anzunehmen, oder Anträge erst im Rahmen eines später stattfindenden Beratungsgesprächs entgegenzunehmen (Blüggel, SozSich 2009, 193, 195). Den Berechtigten ist vielmehr gleichsam der Weg "hin zur Leistung zu weisen" (BSG, Urt. v. 20.6.1984 – 7 Rar 18/83). Eine Verletzung dieser Pflichten kann zu einem Herstellungsanspruch führen (s. hierzu unten II. 7.).
Hinweis:
Antragstellung bei der unzuständigen Behörde: Obwohl Anträge auf Sozialleistungen (Definition: § 11 S. 1 SGB I) nach § 16 Abs. 1 S. 1 SGB I beim zuständigen Leistungsträger (zum Begriff des Leistungsträgers s. § 12 SGB I) zu stellen sind, werden sie nach S. 2 der Norm u.a. auch von allen anderen Leistungsträgern und von allen Gemeinden entgegengenommen und sind nach Abs. 2 S. 1 der Bestimmung unverzüglich dem zuständigen Träger zuzuleiten. Ist eine Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so kommt es für die Antragstellung auf den Zeitpunkt des Eingangs bei dem unzuständigen Träger bzw. der Gemeinde an (§ 16 Abs. 2 S. 2 SGB I). Für Anträge, die nicht auf eine Sozialleistung abzielen – z.B. Beitrittserklärung zur Krankenversicherung – ist § 16 SGB I analog anzuwenden (s. Spellbrink in: KassKomm, § 16 SGB I, Rn 29 m.w.N.).