Öffentlichkeit von Ratssitzungen
Befassen sich Kommunen mit für ihre Stadt bedeutsamen Projekten, liegt es nahe, dass die entsprechenden Sitzungen des Rates auf großes Interesse der Öffentlichkeit stoßen. Hinsichtlich der für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Plätze für die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger bedienen sich die Kommunen regelmäßig eines Vergabesystems. Welche Anforderungen an ein solches zu stellen sind, ist Gegenstand der in Rede stehenden Entscheidung.
Gesetzlicher Ausgangspunkt ist jeweils die landesrechtliche Regelung über die Öffentlichkeit von Ratssitzungen (hier: § 48 Abs. 2 S. 1 GO NRW). Der dort verankerte Grundsatz der Öffentlichkeit von Ratssitzungen verlangt eine chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann ohne Ansehen der Person im Rahmen verfügbarer Kapazitäten. Bei der Verwirklichung dieses Grundsatzes kann dem Vorsitzenden des Rates einen durch das Willkürverbot begrenzten Ermessensspielraum zuerkannt und eine bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen nur für zulässig gehalten werden, soweit sie im Einzelfall aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist und sofern daneben noch eine relevante Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibt. Auch ein besonderes berufliches oder dienstliches Interesse kann nach dem berufungsgerichtlichen Verständnis des Öffentlichkeitsgrundsatzes eine bevorzugte Platzvergabe sachlich rechtfertigen.
Nach dem Urteil des BVerwG vom 27.9.2021 (8 C 31.20, Städte- und Gemeinderat 2021, 28 f.; NWVBl 2022, 104 ff.; DVBl 2022, 302 ff.; BayVBl 2022, 240 ff.) steht es mit dem demokratischen Grundsatz der Öffentlichkeit gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang, dass die Vergabe von Zuhörerplätzen an interessierte Bürgerinnen und Bürger nach dem Prioritätsprinzip vergeben werden. Eine allein an dem zeitlichen Eingang einer Anfrage orientierte Platzvergabe stelle ein objektives Verteilungsverfahren dar, das jedem Bürger im Rahmen verfügbarer Kapazitäten gleichen Zugang zur Ratssitzung ermögliche. Auch die bevorzugte Vergabe von Plätzen an Vertreter der Presse sei zulässig. Diese Praxis trage Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung, diene dem Informationsinteresse der Bürger und fördere die öffentliche Kontrolle der Ratssitzung.
Hinweis:
Die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führt nur bei schweren Verstößen zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse des Rates.
Ergänzend hierzu führt das BVerwG aus, zwar stelle der unrechtmäßige vollständige Ausschluss der Öffentlichkeit einen erheblichen Verfahrensmangel dar, der regelmäßig die Unwirksamkeit der in nichtöffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse zur Folge habe (vgl. VerfGH NRW, NJW 1976, 1931; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2001, 462, 463; OVG Weimar, Beschl. v. 14.6.2021 – 3 ZKO 434/17 – juris Rn 9; Rabeling, NVwZ 2010, 411, 412; Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, S. 314 Rn 629; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2019, S. 409 Rn 91 m.w.N. in Fn. 258). Daraus folge jedoch nicht, dass demokratische Grundsätze i.S.d. Art. 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG dazu verpflichteten, bei jedem Verstoß gegen die Sitzungsöffentlichkeit stets alle betroffenen Ratsbeschlüsse für nichtig zu halten. Wenn nur ein begrenzter Teil der zur Verfügung stehenden Plätze ermessensfehlerhaft vergeben worden sei, während die übrigen für jedermann chancengleich zugänglich geblieben seien, sei die Nichtigkeitsfolge nicht zwingend.