Weder im alltäglichen Leben noch in der juristischen Arbeitswelt kann man das Problem der aktuell hohen Inflationsraten vermeiden. Das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) wurde um ein Kapitel (§§âEUR™17–23âEUR™EnSiG) erweitert, das Treuhandverwaltungen und Enteignungen von Unternehmen der kritischen Infrastruktur ermöglicht. Bei "normalen" Wirtschaftsunternehmen, die Produktionsausfälle und/oder beschädigte Produktionsanlagen infolge eines Energieausfalls zu verzeichnen haben, könnten sich Ansprüche gegen den Netzbetreiber aus §§ 13, 16 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ergeben, die tatsächlich aber kaum bestehen dürften. Auch Betriebsunterbrechungsversicherungen helfen im Ernstfall nicht. Amtshaftungsansprüche gegen (vormalige) Minister und Abgeordnete erscheinen angesichts der restriktiven Rechtsprechung zur Einschätzungsprärogative der Entscheidungsträger schwer zu begründen (vgl. Figuccio, NJW 2022, 19).
Diese Entwicklung wird die Rechtspraxis zwingen, mit der sog. Rationalitätenfalle Bekanntschaft zu machen. Für einen individuellen Theaterbesucher besteht dessen Rationalität darin, seine Sicht zu verbessern, indem er aufsteht. Damit werden auch andere Besucher aufstehen, um ihre Sicht zu verbessern. Am Ende eines solchen Prozesses steht der ganze Saal und keiner sieht besser, als wenn alle wieder säßen, sodass das Bestreben des Einzelnen, seine Lage zu verbessern, dazu geführt hat, dass sich alle Beteiligte verschlechtert haben (vgl. Bofinger, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl. 2015, S. 7).
Die inflationäre Entwicklung, um das Fazit dieses Beitrags vorwegzunehmen, wird die Beratungspraxis dazu zwingen, vermehrt Preisindexklauseln zu verwenden, um den inflationsbedingten Verlust zugunsten des Verwenders auszugleichen, wodurch aber weiterer Preisauftrieb entsteht. Welche "neuen" Klauseln Bestand haben werden, ist kaum prognostizierbar. Überdies stellen sich Fragen nach der Zulässigkeit von Preisanpassungen nach dem Preisklauselgesetz, die juristisch kaum erschlossen sind. Weiter ist zu beobachten, dass aufgrund "schwierigerer" Vergaben durch Bankkredite, die Praxis auf Umgehungen ausweicht (z.B. Sale-and-lease-back), die ihrerseits nicht unproblematisch sind.
Die Zeit zwischen Mitte der 1980er Jahre bis 2007 wird gemeinhin als "große Moderation" bezeichnet, da die weltweite wirtschaftliche Entwicklung immer stabiler wurde und die Inflation in allen entwickelten Staaten auf dem Rückzug war. Seit 2007 befindet sich das Finanzsystem und die Weltwirtschaft in einer tiefen Krise, die durch "unkonventionelle" Maßnahmen der Notenbanken mit immer größer werdenden Bilanzsummen begleitet wurde (Vgl. Wullweber, Zentralbankkapitalismus, S. 19, 165).
Hinweis:
Die Lage ist für weite Teile der Wirtschaft und Bevölkerung brisant und rechtlich kaum erschlossen.
Zugleich soll der Teufelskreis der Inflation dargestellt werden, um für die strategische, längerfristige Beratungspraxis die entsprechenden Schlüsse ziehen zu können. Die Folgen der Inflation, aber auch der Inflationsbekämpfung, sollten zum Grundwissen eines praktisch tätigen Juristen gehören, um die gesellschaftsgestaltende Verantwortung der Juristenberufe bewusst zu machen. Dies gilt erst recht, nachdem Juristen vermehrt reine "Rechtstechniker" wurden, nachdem die früher obligatorischen Vorlesungen in anderen Disziplinen (studium generale) in den Ausbildungsordnungen weitgehend abgeschafft und Grundlagenfächer minimalisiert wurden (vgl. Rüthers, JuS 2011, 865 ff.). Ohne Kenntnis der Gefahren für die Preisstabilität ist vermutlich nicht einmal der eigene Kanzleibetrieb mit demâEUR™entsprechenden Kostenapparat langfristig planbar (Personalentwicklung, Finanzierung der Geräte, Ausgestaltung der Kanzleimiete, Rückgang der Einnahmen durch Rezession, welche Teile der Mandantschaft werden besonders betroffen sein? etc.).