Vor dem EuGH in Luxemburg ist derzeit ein Verfahren anhängig, in dem es um nichts weniger als um ein Kernstück der anwaltlichen Unabhängigkeit geht, nämlich um das in der BRAO geregelte Fremdbesitzverbot. Dieses könnte gegen höherrangiges EU-Recht verstoßen und deshalb demnächst gekippt werden.
Vorgelegt wurde der Fall dem EuGH im vergangenen Jahr vom Bayerischen Anwaltsgerichtshof, der den Streitfall einer deutschen Rechtsanwaltsgesellschaft zu entscheiden hat, welche in der Form einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft betrieben wird. Diese übertrug im Jahr 2021 51 % ihrer Geschäftsanteile an eine Gesellschaft österreichischen Rechts, die weder in Deutschland noch in Österreich zur Rechtsberatung zugelassen ist. Daraufhin widerrief die RAK München die Zulassung der UG zur Rechtsanwaltschaft, weil sie die Anteilsübertragung an die österreichische Gesellschaft für unvereinbar mit §§ 59a ff. BRAO (in der bis zum 31.7.2022 geltenden Fassung) hielt, wonach nur Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Ärzte oder Apotheker am Gesellschaftskapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligt sein dürfen.
Nachdem der EuGH im April zu dem Streitfall getagt hatte, dürfte in Kürze eine Entscheidung ergehen. Schließt sich der Gerichtshof – wie zumeist – den Schlussanträgen des Generalanwalts an, dürfte es schlecht um das anwaltsrechtliche Fremdbesitzverbot in der BRAO stehen. Denn Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona hält dessen Regelungsgefüge für unvereinbar mit EU-Recht, konkret: mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie. In seinen kürzlich veröffentlichten Schlussanträgen – sozusagen das Rechtsgutachten für das Gericht – hebt der Generalanwalt zunächst allerdings hervor, dass er ein Fremdbesitzverbot im Anwaltsmarkt für durchaus grds. sinnvoll hält.
Dieses ergebe durchaus Sinn, wenn man sich vergegenwärtige, dass den Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Aufgabe übertragen werde, nämlich die Verteidigung der Rechtsunterworfenen, schreibt Sánchez-Bordona. Es sei in allen Mitgliedstaaten anerkannt, dass es dem Einzelnen möglich sein müsse, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, zu dessen Beruf es schon seinem Wesen nach gehöre, all denen unabhängig und loyal Rechtsberatung zu erteilen, die sie benötigten. Daraus folge, dass es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich sei, dass es nicht zu Interessenkonflikten komme, was insb. bedeute, dass Rechtsanwälte sich in einer Position der Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen, anderen Wirtschaftsteilnehmern und Dritten befinden müssten, von denen sie sich nicht beeinflussen lassen dürften.
Allerdings sind die deutschen Regelungen nach Auffassung des Generalanwalts mit Blick darauf nicht kohärent. Es ergebe keinen Sinn, einerseits bestimmten Gruppen zu erlauben, sich an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beteiligen, andererseits Angehörige anderer Berufsgruppen, die objektiv dieselben Kriterien erfüllen könnten, hiervon auszuschließen. Auch könne das Erfordernis, dass Rechtsanwälte in der Rechtsanwaltsgesellschaft aktiv beruflich tätig sein müssen, um sich an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beteiligen, nicht ohne nähere Konkretisierung vorgeschrieben werden; bisher gebe es weder Vorschriften zum Umfang dieser beruflichen Betätigung noch werde diese kontrolliert.
Entscheiden muss nun der EuGH. Sein Urteil wird sich zwar nur auf die Fassung des Fremdbesitzverbots vor der sog. großen BRAO-Reform vor rund zwei Jahren beziehen. Mit der Novellierung hatte der Gesetzgeber zu diesem Punkt allerdings nur eher marginale Änderungen vorgenommen. So wurde etwa der Kreis der sozietätsfähigen Berufe um alle freien Berufe erweitert; eine reine Kapitalbeteiligung ist aber nach wie vor ausgeschlossen, so dass die Kritik des EuGH-Generalanwalts weitgehend auch auf die Neufassung der betreffenden BRAO-Vorschriften zutreffen dürfte.
[Red.]